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Interview – Industrie 4.0 aus Sicht von KUKA Roboter

Interview mit Heinrich Munz, Lead Architect Industry 4.0 bei KUKA Roboter

heinrich_munz_kukaHeinrich Munz ist Lead Architect Industry 4.0 bei der KUKA Roboter GmbH, Augsburg. Er gründete nach dem Elektronik-Studium 1985 zusammen mit Partnern die LP Elektronik GmbH, bei der er als Geschäftsführer für Entwicklung, Vertrieb und Marketing verantwortlich war. Dies führte 1996 zur Übernahme der Firma LP Elektronik durch KUKA Roboter. 1999 folgte Heinrich Munz dem Ruf des Mutterunternehmens, wo er zunächst als Senior Developer System Engineering in der seriennahen Vorentwicklung mit der Planung und Entwicklung von zukünftiger Steuerungstechnik beschäftigt war. Um dem immer stärker werdenden Einfluss von Vernetzung und Digitalisierung auf die Automatisierung Rechnung zu tragen, ist Herr Munz seit geraumer Zeit als Lead Architect Industry 4.0 für KUKA tätig.

Connected Industry: Was bedeutet Industrie 4.0 aus Ihrer Sicht?

Für KUKA ist Industrie 4.0 zunächst die komplette Digitalisierung der Fertigungsindustrie mit den Hauptzielen Effizienzsteigerung und neuen Business-Modellen. Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe 1 der Industrie 4.0-Plattform und dort haben wir den Begriff der Industrie 4.0 auch auf die Prozessindustrie ausgedehnt. Industrie 4.0 ist somit die komplette Digitalisierung der Prozess- und Fertigungsindustrie – in einem wesentlich höheren Maße als es heute der Fall ist.

Connected Industry: Welche Themen setzt KUKA im Kontext von Industrie 4.0 um?

Wir haben angefangen unsere eigene Produktion vollständig zu digitalisieren. Dies erreichen wir, indem wir damit begonnen haben, Daten aus bestehenden Produktionsanlagen zu sammeln, ohne deren Funktion zunächst zu verändern. Das Ziel war ohne Änderung bestehender Steuerungen zusätzliche Funktionen zu etablieren. Das zweite, was wir entwickeln, ist die KUKA Connect Cloud, welche wir auf der Hannover Messe 2016 vorgestellt haben. In diese Cloud werden die Daten aus unserer Produktion hochgeschickt, um entsprechende Big Data Analysen und Optimierungen zu betreiben. Hierzu haben wir auch das Tochterunternehmen connyun (www.connyun.com) gegründet, die diese cloudbasierten Anwendungen für die Digitalisierung der Produktion, Logistik und ‚Connected Products‘ am Markt positioniert.

Connected Industry: Welche Bedeutung haben dabei Smarte Dienstleistungen?

Hier sind wir vollständig konform mit dem Industrie 4.0 Gedankengut, dass ein Großteil des Erfolges darin liegen wird, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Bei uns ist dabei die Grundidee „Everything as a Service“ von hoher Bedeutung, also dem Kunden nicht mehr nur Produkte zu verkaufen z.B. in Form von Robotern, sondern ihm das zu bieten was er wirklich haben will – nämlich die Bewegung. Der Fokus verschiebt sich vom Verkauf von Produkten zur Monetarisierung des Kundennutzens. Die Produkte selbst werden Mittel zum Zweck und bleiben unter Umständen in unserem eigenen Besitz oder wir betreiben diese im Kundenauftrag (Betreibermodelle).

Connected Industry: Inwieweit wird die Mensch-Roboter-Kollaboration die Arbeitswelt in den nächsten Jahren verändern?

Die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) haben wir schon seit einigen Jahren serienreif in Form unseres Leichtbauroboters LBR iiwa eingeführt. Dieser hat wenig Eigengewicht bei vergleichsweise hohen Payloads, zudem sichere Gelenk-Momenten-Sensoren, wodurch wir auf Zäune verzichten können und Menschen Hand in Hand mit dem Roboter zusammenarbeiten lassen können. Montiert auf einer autonom navigierenden Plattform wird der Leichtbauroboter zum mobilen Roboter KMR iiwa. MRK und Mobilität: Das sind wichtige Bestandteile von Industrie 4.0.

Connected Industry: Was ist aus Ihrer Sicht der nächste große Schritt hin zur Industrie 4.0?

Was als nächstes nach dem Datensammeln und -auswerten kommen muss, ist zum einen das Steuern aus der Cloud heraus und zum andern durchgängig digitalisierte Wertschöpfungsketten. Diese lassen sich dadurch verwirklichen, dass man sich gemeinsam auf bestimmte Datenformate und Standards einigt, so dass ein Glied der Wertschöpfungskette seine Daten dem anderen direkt weitergeben kann. Und dies über alle Glieder der Wertschöpfungsketten hinweg Und diese Wertschöpfungsketten müssen durchgängig digitalisiert werden – dies ist die nächste große Herausforderung, denn hier geht es über Firmengrenzen hinweg und Vertrauen spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle.

Connected Industry: Sehen Sie Google als Wettbewerber?

Man muss Google immer ernst nehmen, aber Geld alleine reicht in diesem Umfeld nicht aus. Aus meiner langjährigen Erfahrung ist klar, dass Robotik nicht aus 99% IT und ein wenig Mechanik besteht, sondern dass Mechanik genauso wichtig ist wie die IT. Die richtige Kombination von beiden Bereichen macht das Ergebnis aus.

Interview – Industrie 4.0 am Beispiel der Maschinenfabrik Reinhausen

Interview mit Industrie 4.0 Experte Johann Hofmann von der Maschinenfabrik Reinhausen

Johann Hofmann ist Leiter für den Bereich ValueFacturing® der Maschinenfabrik Reinhausen in Regensburg, dem Weltmarktführer für Laststufenschaltern für Leistungstransformatoren der Hochspjohann-hofmann-industrie4-experteannungstechnik. Herr Hofmann ist ein Entwickler von Datenmanagement in der Fertigung und gilt als einer der begehrtesten Experten für Industrie 4.0 in Deutschland.

Johann Hofmann ist studierter Maschinenbau-Ingenieur und beschäftigt sich seit 1989 mit der Digitalisierung der Fertigung und seit 2011, also dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftauchens dieses Trendbegriffs, mit Industrie 4.0. Im Jahr 2013 gewann er mit der Maschinenfabrik Reinhausen gleich zwei Preise, den Industrie 4.0 Award und den Finalistenpreis beim Innovationspreis der deutschen Wirtschaft. 2016 ist er mit ValueFacturing® ein zweites Mal Finalist beim Innovationspreis der deutschen Wirtschaft in der Kategorie Industrie 4.0.

Connected Industry: Herr Hofmann, Industrie 4.0 gilt derzeit als der größte Technologie-Trends der internationalen Industrie, dabei scheint jede Branche diesen Begriff für sich selbst zu interpretieren. Was bedeutet Industrie 4.0 denn nun wirklich?

Eine Wette auf unsere Wettbewerbsfähigkeit und für die Zukunft Deutschlands, wobei ich keinerlei Zweifel daran habe, dass wir diese Wette gewinnen können, jedoch nicht ohne unser aktives Erfinden, Handeln und Umsetzen. Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen.
Von ganz großer Flughöhe aus betrachtet unterscheide ich drei Perspektiven: Die Industrie 4.0 erstens für Produkte, zweitens für Prozesse und drittens für Geschäftsmodelle. Ich persönlich befasse mich mit den Themen der Industrie 4.0 für Prozesse. Konkret geht es darum, kleinste Losgrößen wirtschaftlich herstellen zu können, dabei flexible Produktionssysteme zu schaffen, die kundenindividuelle Produktionsvorgänge ermöglichen und darüber hinaus die Verkürzung von Durchlaufzeiten. Was früher undenkbar war, macht die digitale Welt schon heute möglich, auch wenn wir gesamtheitlich betrachtet noch am Anfang stehen.

Connected Industry: Ist der Begriff „Industrie 4.0“ wirklich treffend und zukunftsfähig?

Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder. Für manche ist der Begriff bereits zum Schimpfwort geworden. Der Trendbegriff „Industrie 4.0“ ist für die Industrie entstanden, da diese in ihrer Tradition festsitzt, beim digitalen Wandel jedoch hinterherhinkt. Mittlerweile ist die gesamte Gesellschaft von dem Wandel betroffen, beispielsweise mit Smart Farming, digitale Bezahlprozesse oder vernetzte Autos. Es betrifft heute jeden, daher kann ich mir schon vorstellen, dass der Begriff „Industrie 4.0“ zu eng gefasst und vielleicht schon bald durch eine neue Wortschöpfung ersetzt wird.
Connected Industry: Gibt es einen Unterschied zwischen der Digitalisierung und der digitalen Transformation?

Genau genommen ist die Digitalisierung mit Industrie 3.0 losgegangen. Die darauf folgende digitale Transformation ist der Startpunkt und damit die Basis von Industrie 4.0.

Beide Begriffe unterscheide ich wie folgt: Die Digitalisierung bedeutet, dass ein vorhandener bzw. etablierter Prozess papierlos gemacht wird, ohne dabei große Änderungen am Prozess selbst zu vollziehen. Ein alltägliches Beispiel dafür ist das Flugticket, dass man für den Einstieg ins Flugzeug benötigt. Früher, und übergangsweise auch noch heute, musste man erst zum Schalter der Airline im Flughafen und dort das Ticket ausdrucken lassen, dieses dann die ganze Zeit bei sich behalten und dann zum Einstieg ins Flugzeug erneut vorzeigen. Heute funktioniert das mit einem digitalen Abbild des ursprünglichen Papiertickets, dass man dann z. B. in der Cloud speichern und vom Smartphone aus abrufen und verwenden kann, das dann auch noch nach Jahren wiederfinden kann.
Die Digitale Transformation geht einen Schritt weiter, denn mit ihr ändert sich ein Prozess grundlegend und neue Geschäftsmodelle verdrängen ältere. Erst wird der Prozess papierlos (Digitalisierung), dann ändert sich der Prozess, weil nun Dinge möglich werden, die vorher nicht funktionierten.
Beispielsweise wird das Lesen von Büchern zunehmend papierlos und im zweiten Schritt ändert sich das Kauf- und Nutzungsverhalten von Büchern. Auch Branchen wie die Automobilindustrie sind gerade in der Digitalen Transformation angekommen.

Connected Industry: Welchen Stand haben wir in Deutschland mit der Industrie 4.0 heute schon erreicht?

Wir erreichen schon heute nachweisbare Effizienzsteigerungen, Flexibilisierung und digital dokumentierte Arbeitsvorgänge. Die positiven Effekte sind wahrnehmbar.
Insgesamt steht die Industrie jedoch noch am Anfang und vieles, was heute vorhergesagt wird, wird sich später sicherlich als falsch herausstellen. Dafür wird aber auch manches funktionieren, was heute noch nicht denkbar ist.

Connected Industry: Die Maschinenfabrik Reinhausen haben Sie maßgeblich mitgestaltet und dafür angesehene Innovationspreise gewonnen. In wie weit sind die Konzepte der Industrie 4.0 in Ihrer Maschinenfabrik Reinhausen tatsächlich umgesetzt?

Wir haben in unserer Fertigung ein digitales Assistenzsystem entwickelt und eingeführt, dass uns auf dem Innovationslevel in der Fertigung sehr weit nach vorne gebracht hat.
Wir arbeiten bereits bald 30 Jahre an dem Ziel der Smart Factory und der damit verbundenen Verschlankung, Flexibilisierung und letztendlich auch an der Digitalisierung der Fertigungsprozesse. Wir haben mit ValueFacturing® unsere gesamte Mannschaft der Produktion dazu befähigt, bessere Entscheidungen zu treffen. Die Entscheidung obliegt immer noch dem Menschen.
Durch die digitale Vernetzung können wir bereits jetzt signifikante Verkürzungen der Lieferzeiten realisieren.

Connected Industry: Wie kann man sich das technisch vorstellen?

Auf oberster Ebene der Automatisierungspyramide steht das ERP-System, so auch bei uns. Darunter kommt gleich unsere Datendrehscheibe, die Daten zwischen den einzelnen Maschinen bidirektional austauscht. Wir haben u.a den Fertigungshilfsmittel – Kreislauf digitalisiert, können somit Arbeitsgänge aus Fertigungsaufträgen papierlos abwickeln und beispielsweise Rüstvorgänge optimieren. Die ValueFacturing® – Datendrehscheibe ist ein Integrationssysteme für die bereits vorhandenen Systeme. Es nutzt zur Datenspeicherung die bereits vorhandenen Datenbanken der Drittsysteme und verteilt und komponiert daraus in Echtzeit alle benötigen Daten. Darüber hinaus ist ValueFacturing® in der Lage durch Datenanreicherung fehlende Daten automatisch zu generieren.
Zusätzlich beinhaltet ValueFacturing® auch eine Datenpumpe, die im Sekundentakt Rohdaten aus der Fertigung sammelt in einer Analyse-Datenbank archiviert. Durch Data-Mining veredelt ValueFacturing® diese Rohdaten zu Informationen. Dadurch kommen wir zu neuartigen Erkenntnissen die es ermöglichen steigende Qualitätsanforderungen, kürzere Lieferzeiten, sich verkürzende Produktlebenszyklen und eine wachsende Variantenvielfalt zu beherrschen.

Connected Industry: Das Manfuacturing Execution System (MES) wird von vielen Lösungsanbietern als Schlüssel zur Industrie 4.0 gepriesen, andere wiederum halten es nur für eine Zwischenlösung.

Wir sind mit ValueFacturing® im weitesten Sinne im Dunstkreis eines MES tätig. Unsere Datenpumpe erfüllt nämlich im Bereich der zerspanenden Fertigung MES – Aufgaben. Wobei wir der Überzeugung sind, dass uns als Maschinenfabrik die Auswertung der Rohdaten besser gelingt als Softwarehäusern. Zusätzlich realisiert unsere Datendrehscheibe allerdings Aufgaben die kein MES beherrscht. Dieser Leistungsumfang lässt sich am besten mit dem Wort: ValueFacturing® umschreiben.

Connected Industry: Sie entwickeln Ihre Software selbst. Warum nutzten Sie nicht Lösungen von etablierten Software-Herstellern?

Es gibt einfach noch keinen Lösungsanbieter, der diese Heterogenität der Maschinenlandschaft entsprechen unseren hohen Anforderung bewältigt. In jeder Fertigungshalle stehen unterschiedlichste Maschinen, Anlagen, Softwaresysteme unterschiedlichster Baujahre und natürlich von diversen Herstellern. Unsere Datendrehscheibe ist deshalb auch als Multidolmetscher im Einsatz, allerdings nicht mit 1:1 Schnittstellen, sondern mit intelligenten Konnektoren. ValueFacturing® beinhaltet über 25 Jahre Zerspanungs Knowhow der Maschinenfabrik Reinhausen. Die Bewältigung dieser Heterogenität ist unsere Kernkompetenz.

Connected Industry: Was steht IT-technisch dahinter?

Unsere ITler entwickeln auf aktuellsten Microsoft Technologien. Alle unsere 15 Kunden nutzen den ValueFacturing® Webservice in der privaten Cloud, der auf den kundeninternen Servern liegt, so dass Fragen bzgl. der Datengeheimhaltung gar nicht erst aufkommen.
Basierend auf Microsoft AZURE, einer Cloud Technologie von Microsoft, stellen wir ab April 2016 jedoch auch ein Modell der Public Cloud zur Verfügung, die als Alternative vor allem wirtschaftliche Vorteile bietet.

Connected Industry: Kann Industrie 4.0 als eine Fortführung des Lean Managements unter Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung betrachtet werden oder geht Industrie 4.0 noch weiter?

Lean Management ist für mich eine Grundvoraussetzung für Industrie 4.0. Ohne Lean wird die Digitale Transformation nicht funktionieren. Die Prozesse in der nicht-digitalisierten Fabrik laufen in bisher nur gut, weil die Menschen trainiert sind und vieles auswendig können. Nach der Digitalisierung ändern sich die Gewohnheiten und genau dann sind schlanke sowie stabile Prozesse wichtig.

Connected Industry: Wie stehen Sie zum artverwandten Trendthema „Big Data“?

Unter Big Data verstehe ich erstmal nur ein Sammeln von Rohdaten in großer Menge, hoher Geschwindigkeit oder Komplexität auf Grund der strukturellen Unterschiedlichkeit. Interessant wird die Auswertung von Big Data, also Big Data Analytics, bei der Mustererkennungsmethoden eingesetzt werden, um neue Erkenntnisse aus den Daten zu ziehen.
Big Data Analytics ist somit ein wichtiger Bestandteil der Industrie 4.0.

Connected Industry: Als Datenpumpe bezeichnen Sie die Software-Architektur, die die Maschinendaten archiviert und für Analysen bereitstellt, welche Erkenntnisse wären dadurch denkbar?

Wir haben schon eine ganze Reihe von Erkenntnissen für die Fertigungsstabilität ermitteln können. Mit zielgerichteten Datenanalysen konnten wir schon konkrete Optimierungsvorschläge für den Werkzeugkreislauf, die betriebsinternen Materialflüsse und die Produktqualität machen und umsetzen. Besonders interessant ist die Analyse der Fehlerursachen bzw. Mängel in der Produktqualität im Zusammenhang mit dem NC-Programm und der Maschinenkonfiguration.

Connected Industry: Kann man zusammenfassend sagen, dass Industrie 4.0 bereits heute schon verschiedene Trends zusammenbringt und für Industrieanwendungen bündelt?

Ja, neben der Idee der schlanken Prozesse, der Digitalisierung, der Datenanreicherung und Datenauswertung sind noch weitere Konzepte relevant, insbesondere das Internet der Dinge und Dienste, mobile Anwendungen und die Virtualisierung.