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Interview – Die Digitalisierungsoffensive der Minol-ZENNER-Gruppe

Doppelinterview mit Boris Stöckermann und Sascha Schlosser über die Digitalisierungsoffensive der Minol-ZENNER-Gruppe

Die familiengeführte Minol-ZENNER-Gruppe vereint zwei traditionsreiche Firmen mit jeweils eigenem Schwerpunkt: Die Minol Messtechnik GmbH & Co. KG aus Leinfelden-Echterdingen ist auf Energiedienstleistungen für die Immobilienwirtschaft spezialisiert, die ZENNER International GmbH & Co. KG aus Saarbrücken auf Messtechnik und -systeme für die globale Versorgungswirtschaft.
Unsere Interviewpartner treiben die Digitalisierung der Minol-ZENNER-Gruppe voran: Borislav Stöckermann (links) als Leiter Geschäftsfeldentwicklung Digitale Strategien, Sascha Schlosser als Mitglied der Geschäftsführung bei ZENNER.

Connected Industry: Wie verändert der digitale Wandel die Geschäftsmodelle von Minol und ZENNER?

Herr Stöckermann: Wir interpretieren den Megatrend Digitalisierung für unsere klassischen Zielgruppen: Minol für Wohnungsunternehmen, Verwalter und Vermieter, ZENNER für Energieversorger, Stadtwerke und Industrieunternehmen. Sowohl die Immobilien- als auch die Versorgungswirtschaft kann effizienter wirtschaften, wenn sie ihre Abläufe digitalisiert und dazu IoT-Technologien nutzt. Beide Branchen können darüber hinaus neue, datenbasierte Services und Geschäftsmodelle für ihre Kunden entwickeln. Letztendlich geht es darum, dass wir als Minol-ZENNER die Entscheidung getroffen haben, unsere Kunden bei der Umsetzung der großen, digitalen Zukunftsvisionen Smart Metering, Smart Energy, Smart Living, Smart Care und Smart City gezielt und nachhaltig zu unterstützen.

Herr Schlosser: Für uns als Messtechnik-Hersteller bedeutet der digitale Wandel, dass wir unseren Fokus auf die gesamte Wertschöpfung im Messwesen ausweiten müssen: von der Projektentwicklung über die Messdatenerfassung und -verarbeitung bis zur Applikation beim Endanwender. Besonders LPWAN (Low Power Wide Area Network) sehen wir hier als Schlüsseltechnologie. Ein solches Netz ist dafür konzipiert, bei geringem Stromverbrauch eine sehr hohe Anzahl von Endgeräten, zum Beispiel Verbrauchszähler oder Sensoren, anzubinden und die Daten innerhalb kürzester Zeit über große Strecken hinweg zu übertragen. Das ermöglicht zum Beispiel eine zeit- und kostensparende Fernablesung des Energieverbrauchs und ein laufendes Energiemonitoring – beides ist unverzichtbar im Hinblick auf die Energiewende und immer strengere Klimaschutz-Vorgaben. Die Minol-ZENNER-Gruppe hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, LPWAN für die Immobilien- und Versorgungswirtschaft nutzbar zu machen.

Herr Stöckermann: Perspektivisch denken wir bei unserer Digitalisierungsoffensive aber nicht nur an unsere klassischen Zielgruppen, sondern branchenübergreifend, bis hin zum Endkunden. Zum Beispiel hat das Unternehmen TrackNet, an dem Minol-ZENNER beteiligt ist, ein IoT-System entwickelt, mit dem Familien sowohl ihr Haus als auch die Sicherheit ihrer Kinder überprüfen können.

Connected Industry: Sie sprechen von der „Digitalisierungsoffensive“ der Minol-ZENNER-Gruppe. Wie sieht diese Offensive konkret aus?

Herr Schlosser: ZENNER selbst hat vor mehr als einem Jahr damit begonnen, das Portfolio um smarte IoT-Verbrauchszähler zu ergänzen. Mit unseren neuen Kommunikationsmodulen können Wärme- und Wasserzähler ebenso wie Gaszähler und andere Messgeräte in LoRaWAN- und SIGFOX-Netze eingebunden werden. Doch smarte Endgeräte sind nur ein Baustein: ZENNER wird sich vom Gerätehersteller zum Lösungsanbieter weiterentwickeln. In fünf Jahren wollen wir zu den führenden IoT-Lösungsanbietern in den Bereichen Smart Utility, Smart City und Smart Home gehören. Zur Digitalisierungsoffensive gehört entsprechend, dass die Minol-ZENNER-Gruppe sich im letzten halben Jahr an drei Unternehmen im IoT-Umfeld beteiligt hat: TrackNet, SmartMakers und ZENNER IoT Solutions. Im Verbund mit diesen Partnern können wir komplette IoT-Lösungen anbieten: Zähler und Sensoren, die technische Infrastruktur zur Übermittlung der Daten, also Netze und Gateways, eine hochskalierbare, hochsichere und in Deutschland betriebene IoT-Daten-Cloud inklusive performantem Big-Data-Management, Beratung beim Aufbau individueller IoT-Netze – und schließlich Software-Plattformen und Applikationen zur Nutzung der Daten.

Herr Stöckermann: Schon in der Vergangenheit waren Minol und ZENNER sehr fortschrittlich. Zum Beispiel nutzt Minol seit Mitte der 1990er Jahre Funk-Messtechnik, um die Verbrauchswerte außerhalb der Wohnungen zu erfassen und den Komfort für die Hausbewohner zu erhöhen, und bietet Vermietern und Verwaltern verschiedene Services, um die Betriebskostenabrechnung zu digitalisieren. Ein konkretes Produkt unserer aktuellen Digitalisierungsoffensive ist unsere neue IoT-Lösung Minol Connect. Es ist ein LPWAN, das auf dem offenen Übertragungsstandard LoRaWAN beruht. Außer der Messtechnik für Wärme und Wasser können auch weitere LoRaWAN-fähige Geräte und Sensoren in das System eingebunden werden: Verbrauchszähler, Rauchwarnmelder, Temperatur- und Feuchtesensoren, Smart-Home-Lösungen und vieles mehr. Der offene, weltweit gültige LoRaWAN-Standard macht Endgeräte verschiedener Hersteller integrierbar. Die erfassten Daten in der Cloud lassen sich für zahlreiche komfortable smarte Services nutzen.

Connected Industry: Welche smarten Services bietet Minol der Immobilienwirtschaft konkret an?

Herr Stöckermann: Ein erster Anwendungsbereich ist die Betriebskostenabrechnung, für die wir mit Minol Connect alle Verbrauchswerte innerhalb kürzester Zeit aus der Ferne erfassen können. Auch die Statusinformationen der Messgeräte können wir regelmäßig abrufen, um technische Defekte zeitnah zu erkennen und zu beheben. Ein Service ist auch das „eMonitoring“, das dem Verwalter zeigt, wie sich der Verbrauch der Gebäude und einzelner Wohnungen im Jahresverlauf und im Vergleich zu den Vorjahren entwickelt. Das neue IoT-Lösung ist zudem die technische Grundlage, um gesetzliche Anforderungen zu erfüllen, die schon heute absehbar sind und künftig regelmäßige Verbrauchsinformationen für die Mieter vorschreiben könnten. Über die Services von Minol hinaus, können Wohnungsunternehmen und Verwalter auch eigene digitale Geschäftsmodelle etablieren, zum Beispiel ein Mieterportal mit Verbrauchsinformationen für die Mieter. Künftig werden auch die Hausbewohner ihren Energieverbrauch und ihr Zuhause über Online-Portale und Apps überwachen und steuern können.

Connected Industry: Haben Sie solche konkreten Beispiele auch für das Kernsegment von ZENNER, die Versorgungswirtschaft?

Herr Schlosser: Wir sind beispielsweise jetzt schon in der Lage, Lösungen zur konsolidierten Mehrspartenauslesung zu implementieren. So haben wir zum Beispiel im Mai 2017 auf der Versorger-Fachkonferenz ZMP in Leipzig das erste, CLS-fähige LoRaWAN-Gateway vorgestellt. Die Lösung setzt dabei gezielt beim verpflichtenden Smart-Meter-Rollout der Sparte Strom an. Mit dem CLS-LoRaWAN-Gateway können Stadtwerke oder dritte Energiemarktdienstleister die bestehende Infrastruktur an intelligenten Messsystemen für weitere Mehrwertanwendungen zugänglich und nutzbar machen.

Aktuell arbeiten wir mit mehreren Stadtwerken an konkreten IoT-Pilotprojekten, um unterschiedlichste Anwendungsfälle innerhalb des versorgungswirtschaftlichen Kerngeschäfts zu testen. Allerdings ist heute schon mit Sicherheit zu sagen, dass die Fernablesung über Niedrigenergienetze auch für Wärme- und Wasserversorger höchst relevant ist. Sie können damit sämtliche Zähler und Messstellen vollautomatisiert periodisch – zum Beispiel monatlich, täglich oder stündlich – ablesen, viel schneller und effizienter als bei einer manuellen Vor-Ort-Ablesung oder beim Einsatz von Datenloggern. Stadtwerke können so zum Beispiel den Wasserbezug und -verkauf exakt gegenüberstellen und mögliche Wasserverluste präziser berechnen und nachvollziehen. Außerdem entfallen die Anfahrten zu den Messstellen, ebenso eventuelle Terminabsprachen mit Gebäudeeigentümern, um Zugang zu den Liegenschaften zu erhalten. Über diese Anwendungen hinaus ermöglicht ein LPWAN noch viele weitere smarte Services, die im Konzept der sogenannten „Smart City“ eine große Rolle spielen: zum Beispiel das laufende Monitoring von Umweltdaten wie Luftverschmutzung oder Wasserstände, die Überwachung von Trafostationen, die smarte Steuerung der Straßenbeleuchtung oder intelligente Parksysteme. Grundsätzlich sind wir davon überzeugt, dass der Einsatz standardisierter und kostengünstiger IoT-Technologie in der gesamten Wertschöpfung der Kommunal- und Versorgungswirtschaft wesentliche Effizienzvorteile und Mehrwertpotenziale bringt.

Interview – Bedeutung von Industrie 4.0 für Private Equity

Interview mit Marko Maschek über Industrie 4.0 aus der Investment-Perspektive

Vor Gründung der PINOVA war Marko Maschek zehn Jahre bei 3i in Deutschland und in den USA, zuletzt als Partner im Bostoner Büro, tätig. Er war dort für Small Cap Investments in den marko_maschekBereichen Umwelttechnologie, Halbleiter und neue Materialien verantwortlich. In seiner Zeit bei 3i tätigte Marko Maschek 19 Investments, war in zahlreichen Aufsichtsgremien tätig, verkaufte mehrere Unternehmen erfolgreich an strategische Investoren und führte 4 Beteiligungen an die Börse.
Nach einer Offiziersausbildung arbeitete Marko Maschek lange Jahre in der Industrie, bei Cambridge Consultants und Robert Bosch. Bei Bosch entwickelte er mehrere technische Neuerungen, die später weltweit patentiert wurden. Marko Mascheks Familienhintergrund ist unternehmerischer Natur. Er studierte Elektrotechnik an der TH Karlsruhe (Dipl. Ing.) und Informatik an der INSA Lyon. Darüber hinaus absolvierte er ein MBA-Studium an der Universität von Cambridge.

Connected Industry: Wieso ist I4.0 für Private Equity (PE) interessant?

Industrie 4.0 ist bei Private Equity Firmen auf der Agenda, aber ich stelle noch nicht fest, dass dies jemand in der Tiefe adressiert hat, da es ein neues Thema ist. Industrie 4.0 ist für uns Investoren ein wichtiges Feld, da es ein Werttreiber ist. Wir halten ein Beteiligungsunternehmen im Schnitt 5 Jahre, bevor es weiter verkauft wird. Das ist eine limitierte Zeit, um eine Wertsteigerung zu bewirken.

Das Thema Industrie 4.0 ist ein Differenzierer, wenn man hier als Beteiligungsgesellschaft Expertise aufgebaut hat, um eine Wertsteigerung zu erzielen. Die meisten Beteiligungsgesellschaften setzen Standardprogramme um, beispielsweise eine Optimierung bei den Kosten, im Working Capital, Marketing und auch in der Internationalisierung.

Für die Umsetzung von Industrie 4.0 braucht man in der Private Equity Branche jedoch ganz andere Strukturen und Netzwerke, die aufgebaut werden müssen. Diejenigen PE-Investoren, die heute schon Industrie 4.0 Themen umsetzen können, haben ein Alleinstellungsmerkmal im Markt. Zudem können Beteiligungsmanager in der Portfolio-Company durch diesen Stellhebel eine Wertsteigerung erzielen – dies führt zu einem Rendite-Vorteil.

Als Technologe beschäftige ich mich selbst seit langem intensiv mit diesem Thema. Früher war dieser Bereich rund um Industrie 4.0 unter Computer Integrated Manufacturing (CIM) bekannt. Damals gab es erste Feldbusse, wo man Geräte verknüpfen konnte. Es ging damals ausschließlich um Technologie. Letztlich sind die Projekte gescheitert, weil wir technologisch noch nicht so weit waren.

Beim Thema Industrie 4.0 geht es nicht so sehr um Technologie, das ist ein Teil, sondern um Kundenfokus. Also, wie kann man den Kunden besser mit Produkten bedienen, die man schon hat und Dienstleistungen herum bauen. Im Mittelpunkt steht, die Abhängigkeit des Kunden zu erhöhen und letztlich mehr Umsatz durch „Smart Services“ zu erzielen.

Das Thema hat jedoch eine Kehrseite: So hat beispielsweise jede Werkzeugmaschine ein Interface – hieraus werden Daten generiert, aus denen man ein smartes Geschäftsmodell entwickeln kann – das wird nun auch durch andere Dienstleister möglich. An dieser Stelle kann sich fortan ein Dritter zwischen dem ursprünglichen Lieferanten und dem Endkunden positionieren.

Connected Industry: Glauben Sie an einen aktuellen Hype oder Beginn einer nachhaltigen Entwicklung

Heute ist es im Vergleich zu den Ansätzen aus der Vergangenheit wesentlich einfacher geworden, etwa durch Halbleitertechnologie und Cloud-Computing, in Echtzeit Daten zu erheben und zu analysieren. Das gab es so früher nicht, sicher nicht zu den Kosten. Für mich ist Industrie 4.0 nun ein nachhaltiger Trend, da es jedes Unternehmen in jeder Branche betrifft, unabhängig, wo man auf der Erde sitzt. Industrie 4.0 wird zudem weiter über bestimmte Schnittstellen standardisiert werden – von daher muss hier dabei sein.

Connected Industry: Wieso reagiert der deutsche Mittelstand noch verhalten auf dieses Thema?

Es ist eine Gefahr, wenn der Mittelstand es versäumt hier aktiv zu werden. Das Risiko ist, dass sich jemand zwischen ihn und seinen Kunden setzt. Dadurch wird er „commodity“ und ist beliebig austauschbar. Hier ist es unausweichlich, dass man neue Lösungen zur Vertiefung der Kundenbindung entwickelt.

Connected Industry: Welche Geschäftsmodelle im Kontext von I4.0 sind gefragt und wieso tun wir uns dabei schwer?

Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, bei denen man versteht, was der Kunde eigentlich benötigt, um sein Unternehmen voranzubringen. Durch diese Technologien im Bereich Industrie 4.0 wird das manifest, was in Produktionsprozessen eigentlich abläuft. Dadurch können wir Smart Services überhaupt erst anbieten.

Wieso ist das für uns schwer? In Deutschland herrschen Detailbetrachtung, minutiöse Planung und Overengineering vor – da sind wir Weltklasse. Das funktioniert gut für bestimmte Produkte, bspw. Automobile, nicht aber für Software. Aber wenn es darum geht, neue datenbasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln, erfordert das eine Dienstleistungsmentalität, die in anderen Ländern stärker ausgeprägt ist als bei uns.

Die Chance mit Industrie 4.0 Geld zu verdienen müssen wir jetzt ergreifen. Wir verfügen über die installierte Maschinenbasis und sind heute noch am nächsten am Kunden dran. Aber wenn wir die Themen rund um Industrie 4.0 nicht umsetzen, machen es andere für uns. Die Ausgangssituation im Mittelstand ist mit seiner Flexibilität und kurzen Entscheidungswegen jedoch als sehr gut anzusehen, das Erfolgsmodell auch in der nächsten Dekade weiter auszubauen.