Interview mit Dr. Schütz, CIO aller Fluglinien der Lufthansa Group, über die Digitalisierung in der Luftfahrtindustrie
Dr. Roland Schütz ist Chief Information Officer (CIO) aller Fluglinien in der Lufthansa Group. Neben den Premium-Hub-Airlines Lufthansa, Austrian Airlines und Swiss gehören dazu auch die Flugbetriebe der Eurowings. Dr. Schütz bündelt in der neuen Rolle alle relevanten Digitalisierungsprogramme IT-seitig. Er arbeitet seit 2005 für die Lufthansa Group. Der promovierte Physiker war zunächst Chief Operating Officer Infrastructure Services bei Lufthansa Systems, einer IT-Tochter des Lufthansa-Konzerns. 2010 übernahm er die Verantwortung für den IT-Bereich der Fracht-Tochter Lufthansa Cargo, ehe er 2014 zum CIO des größten Geschäftsbereichs Lufthansa Passage berufen wurde.
Connected Industry: Was bedeutet Digitalisierung für die Lufthansa?
Wir haben grundsätzlich über den Konzern hinweg drei Zielgruppen: B2B, B2C und B2E zum Mitarbeiter hin. Im Bereich der Commercials – B2B und B2C – haben wir die Herausforderung, dass wir die Kunden mittlerweile viel besser kennenlernen wollen und können als es in der Vergangenheit möglich war. Früher gab es nur den Premium- und Statuskunden, um den man sich personalisiert gekümmert hat. Jetzt ist es möglich, ein individualisiertes Profil unserer Gäste zu ermitteln und ihn auf seiner Reise individuell zu begleiten sowie seinen spezifischen Bedürfnissen entsprechend Dinge anzubieten. Wir wiederholen damit eine Entwicklung, die vor einigen Jahren in der Retail-Industrie stattgefunden hat – diese überträgt sich nun auf die Travel- und Transportbranche. Es bleibt somit nicht bei einem anonymen Gast sondern man möchte wie andere Mobilitätsdienstleister auch der Travel-Companion sein, der über das gesamte Reisen über mehrere Verkehrsträger hinweg auch am Zielort den entsprechenden Kunden berät und ihm individuelle Angebote macht. Die ganze Digitalisierung entwickelt sich ja dahin, nicht nur die eigenen Assets zu managen sondern auch die Dritter, z.B. Hotels. Es geht darum, eine ganzheitliche Erfahrung auf direkten Vertriebskanälen zu ermöglichen und damit ein Stück vom klassischen Vertrieb von Flugtickets über Reisebüros und etablierten Wegen wegzugehen. Das tut sich im groben Überblick auf der Commercial Seite im Hinblick auf B2B und B2C. Was nun den Mitarbeiter angeht, statten wir unsere mobile, globale Workforce mit Smart Phones aus, damit unsere Crews keine Informationsnachteile gegen unseren Gästen haben, die sich über ihre eigenen Smartphones beliebig mit Informationen versorgen können. Dies sind die Haupttrends. Weiter ist noch das Connected Aircraft hinzuzufügen, also Flugzeuge werden zu fliegenden Rechenzentren. Dies gibt uns einerseits die Möglichkeit den Passagier breitbandig online zu bringen und der letzte weiße Fleck auf der Verkaufslandkarte kann damit noch gefüllt werden: Während des Fluges ist die Möglichkeit optimal, dem Passagier Angebote zu machen. Da arbeiten alle Fluggesellschaften mit entsprechenden Partnern daran, diese Lücke zu schließen und den Gast individuell zu betreuen und die Daten die dabei anfallen, werden bei dessen Einverständnis den Kundenprofilen zugeführt und führen zu einer verbesserten Kenntnis der Vorlieben. Das ist, was uns treibt zum Thema Digitalisierung. Heute ist es so, dass jede Schnittstelle zwischen uns und dem Passagier elektronifiziert ist – schon das Einsteigen in ein Flugzeug ohne IT-Unterstützung erheblich länger dauern. Wir können unsere Prozesse gar nicht mehr fahren ohne dass sie vollständig digitalisiert wären. Was jetzt noch dazu kommt ist das Thema Mobile Endgeräte für alle und Unbegrenzter Datenzugriff durch Trends wie Big Data und Analytics, das führt zu den eben beschriebenen Entwicklungen.
Connected Industry: Ist auch das Thema Autonomes Fliegen ein Thema?
Es gibt seit vielen Jahren einen Autopilot im Flugzeug. Je nach Ausstattung der Flughäfen sind auch vollautomatische Landungen möglich. Das ist eine technische Entwicklung die im Flugzeug längst Einzug gehalten hat. Trotzdem wäre es nicht denkbar, dass man zum heutigen Stand der Technik ein Flugzeug ohne Pilot fliegen lassen würde, da es immer Sondersituationen gibt, die vielleicht nicht vorausgedacht sind und man einen Menschen braucht, um finale Entscheidungen zu treffen. Aber technologisch ist dies heute schon automatisiert und die entsprechenden technischen Möglichkeiten sind gegeben. Die Flugzeuge übertragen auch heute schon ständig Daten über ihren Zustand zum Boden und erlauben damit auch eine proaktive Wartung. Aber eine Drohne mit Passagieren an Board – daran denkt im Moment noch niemand.
Connected Industry: Welche zentralen Herausforderungen gibt es bei Ihrer digitalen Transformation?
Die Hauptsache ist, dass es viel Geld kostet und es hat einige Zeit gedauert, bis die Prioritäten dieser Themen erkannt wurden. Heute ist es so, dass Investitionen in große IT-Systeme denselben Stellenwert haben wie Investitionen in Flugzeuge, was unser primäres Produktionsmittel ist. Das war aber nicht immer so. Wir haben den Trend durchgemacht, den viele IT-Abteilungen hatten, dass sie nur als Kostenfaktor gesehen wurden. Mittlerweile ist die IT ein Mittel zur strategischen Differenzierung: In dem Sinne, wer den Kunden am besten kennt und wer nicht durch Intermediäre wie Online Reisebüros vom Kunden abgeschnitten wird und in eine Commodity Ecke gedrängt wird – nur der kann überleben. Das ist mittlerweile verstanden, dass man für die Digitalisierung die IT braucht, um nicht den Kontakt zum Kunden zu verlieren und dass dieses elektronische Bild der Airlines genauso wichtig ist, wie das freundliche Betreuen oder pünktliches Ankommen.
Connected Industry: Mit Blick auf die Zukunft: Was ist Ihre Vision von der nächsten Stufe der Digitalisierung?
Was generell noch weiter zunimmt ist das Thema Konnektivität – immer und überall. Hier möchte man den Gast nicht einschränken. Zudem ein noch dynamischeres Angebotsverhalten, dass man dem Kunden proaktiv Vorschläge macht mit Preisen, die individuell auf den Kunden zugeschnitten sind. Und dies überwiegend über direkte Vertriebskanäle – das ist ein wesentlicher Trend. Und was nun die übliche Automation von Prozessen am Boden angeht, da spielen Trends wie Industrie 4.0 eine Rolle. Beispielhaft wissen wir, wo die Koffer der Passagiere sind oder können sie verständigen, wenn eine Verspätung eingetreten ist. Wir kennen jedes Flugzeugteil, dass weltweit irgendwo unterwegs ist mit seiner ganzen Historie. Die Kommunikation der einzelnen Assets untereinander wird auch automatisiert und damit werden Kosten gespart. Das ist der wesentliche Automationsteil am Boden.
Ansonsten muss man sehen, dass der Luftverkehr im Jahr je nach Weltregion zwischen 5 und 7% wächst. Das ist ein Ergebnis der Globalisierung und wird dazu führen, dass es noch zu einer weiteren Marktbereinigung im Airline-Umfeld kommt. Speziell in Europa steht dies nun – auch durch den Preiskampf mit den Billigairlines- an. Insofern wird der Wettbewerb noch härter sein und es wird nötig sein im Sinne der Neuordnung von Marktteilnehmern die Produktionsplattformen und dergleichen noch flexibler in unterschiedlichen Airlines zusammenzubinden und damit aus Sicht des Passagiers ein nahtloses Reisen zu ermöglichen. Der Passagier möchte möglichst stressfrei durch den Dschungel von Flughäfen und Airlines durchgeführt werden. Wenn sich jetzt Themen vereinheitlichen, dann muss man die bisherigen Grenzen zwischen den Marken für den Passagier besser gestalten. Wir tun uns heute bei der Lufthansa und der Swiss, die beide zum gleichen Konzern gehören, schwer, das einfache Umbuchen und Umsteigen zwischen den Linien zu erlauben. Solche Barrieren müssen natürlich fallen, das ist die klare Erwartung von den Kunden, insbesondere von den Corporate Kunden.
Connected Industry: Was bedeutet digitale Transformation für den IT-Manager im Hinblick auf veränderte Anforderungen und seine neue Rolle?
Also eines ist das digital Enablement von Unternehmen – auf welchen Feldern sich ein Unternehmen weiterentwickeln muss: Der IT-Manager muss noch dichter an das Business heranrücken und in der strategischen Phase im Bereich des Business Developments an neuen Ideen und Produktgestaltungen mit beteiligt werden. Es kann nicht sein, dass er nur im letzten exekutiven Schritt Teil des Verfahrens wird. In dem Moment wo man anerkennt, dass die IT ein wichtiger Produktionsfaktor ist, muss er den gleichen Stellenwert haben und müssen Pläne, die IT weiterzuentwickeln, entsprechend früh ein Teil der Gesamtstrategie sein. Gerade, wenn es zu Marktveränderungen kommt und Zusammenschluss von Unternehmen, ist die IT als Integrationsfaktor auch erfolgskritisches Element. Insofern muss der IT-Manager von heute schnell, flexibel und auf das Unerwartete eingestellt sein, wenn er wirklich die Entwicklungsgeschwindigkeit von Unternehmen beschleunigt, wird er im Gegenzug auch einbezogen in solche Überlegungen. Wir sind mittlerweile fester Bestandteil des Strategieprozesses und man hört auch auf die IT in dem Sinne, was überhaupt machbar ist und was noch Zukunftsmusik ist – also auch das Thema, dass man ein Technologieradar hat und beantworten kann, was ist 2025 möglich und wie überträgt sich das dann auf die Gesamtperspektive des Unternehmens. Hier hört man dem IT-Manager zu und wenn er da nicht sprechfähig ist, dann sucht sich die Unternehmensleitung andere Wege und Ansprechpartner und dann gerät er wieder in die Position des reinen Fullfillments – das wäre eine verpasste Chance. Das sieht man ja auch an solchen Trends, einen Chief Digital Officer zu ernennen, weil man das Gefühl hat, dass die eigene IT-Abteilung keinen hinreichend aktiven Beitrag zur digitalen Transformation des Unternehmens liefert, dass man da noch eine extra Rolle braucht, um da Gas zu geben. Für mich ist das ein Indiz, dass die IT-Abteilung doch nicht proaktiv genug war oder nicht genügend Transformationsvorschläge gemacht hat, wenn man hier spürt, dass man eine weitere Rolle zusätzlich braucht.