Interview mit Herrn Thomas von der Huk-Coburg über den digitalen Wandel in der Versicherungsbranche
Herr Daniel Thomas ist seit Januar 2016 Chief Information Officer und stellvertretendes Vorstandsmitglied der HUK-COBURG Versicherungsgruppe.
Connected Industry: Herr Thomas, welcher Weg hat Sie zur Spitze der IT bei der HUK-COBURG geführt?
Im Jahr 2002 absolvierte ich als Wirtschaftsingenieur am Karlsruhe Institut für Technologie mit dem Schwerpunkt Unternehmensplanung. Fachlich komme ich eher aus dem Prozessmanagement. Mit der Datenverarbeitung hatte ich dennoch bereits zu Studienzeiten zahlreiche Berührungspunkte.
Das Versicherungsgeschäft beruht im Kern auf der Verarbeitung von Informationen bzw. Daten. Seit ich bei der HUK-COBURG im Ressort Betriebsorganisation/Datenverarbeitung (kurz: BO/DV) anfing, hat mich die IT daher immer mitbegleitet. Auch bei meinen späteren Funktionen im Werkstattmanagement und in der Kraftfahrtbetriebsabteilung spielte die DV-Unterstützung der Geschäftsprozesse eine herausragende Rolle.
2014 wurde ich dann zeitgleich mit meiner Ernennung zum Generalbevollmächtigten für die Versicherungsgruppe in den Vorstand unserer Online-Versicherungstochter, der HUK24, berufen. Das sehr erfolgreiche Geschäftsmodell der HUK24 beruht auf dem Self-Service-Prinzip. Effiziente, DV-gestützte Prozesse bilden dabei die Basis für Kosteneinsparungen, die wir an unsere Kunden weitergeben. Seit Anfang dieses Jahres verantworte ich nun im Konzernvorstand das BO/DV-Ressort, zu dem neben den Bereichen Anwendungsentwicklung, Betriebsorganisation, Rechenzentrumsbetrieb auch die zentralen Dienstleistungsfunktionen (insbesondere unsere Druck-, Versand- und Scanstrecken) gehören.
Connected Industry: Was verstehen Sie unter dem digitalen Wandel speziell für Ihre Branche?
Darunter verstehen wir mehr als nur Technologie. Wir verbinden mit dem digitalen Wandel, dass sich Kundenerwartungen und -verhalten fundamental und nachhaltig verändern werden, und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Dies hat Auswirkungen sowohl auf unser Geschäftsmodell als auch auf unser Betriebsmodell.
Im Sachversicherungsbereich gehören wir als Branche zu den nachgelagerten Industrien. Das bedeutet, dass wir keine materiellen Güter schaffen und uns somit u.a. um materielles Produktdesign keine Gedanken machen. Die Hersteller dieser Güter versuchen seit Jahren Einfluss auf die Wertschöpfungsketten der nachgelagerten Marktteilnehmer zu bekommen. Als ein Beispiel seien hier die Automobilhersteller genannt. Im Rahmen von All Inklusive-Angeboten bieten Sie ihren Kunden bereits beim Fahrzeugverkauf neben Service- und Wartungsleistungen auch Versicherungen an. Dies hat direkte Auswirkungen auf unser Geschäftsmodell. Daher machen wir uns bereits heute Gedanken über sinnvolle Erweiterungen unseres Kerngeschäfts. Durch die bereits erwähnten Veränderungen des Kundenverhaltens und der Kundenerwartungen, werden wir uns aber auch im Kerngeschäft den sich ändernden Rahmenbedingungen anpassen müssen. Konkret bedeutet dies, dass wir künftig Versicherungsprodukte und -dienstleistungen anbieten, die sich noch stärker an dem Kundenbedürfnissen orientieren.
Connected Industry: Sie müssen also nun flexiblere Versicherungsprodukte anbieten als in der Vergangenheit?
Wer heute rund um die Uhr Autos mieten und Online-Shoppen kann, möchte auch rund um die Uhr mit seiner Versicherung kommunizieren können. Innerhalb unserer Versicherten haben wir unterschiedliche Anforderungen, absolut uhrzeit- und situationsabhängig. Als Dienstleister müssen wir uns darauf bestmöglich einstellen, damit wir relevant für unsere Kunden bleiben.
Connected Industry: Wie gehen Sie den digitalen Wandel konkret an? Wo steht die HUK denn schon heute?
Wir haben schon sehr früh angefangen und uns bspw. kurz nach Aufleben des Internets mit den neuen Distributionswegen beschäftigt. Mit der HUK24, der Online-Tochter der HUK-COBURG, haben wir uns frühzeitig dem Online-Trend angenommen. Da wir bereits damals an das Geschäftsmodell einer reinen Online-Versicherung glaubten, haben wir sehr stringent an deren Realisierung gearbeitet. Mit dieser Strategie sind wir seitdem sehr erfolgreich gefahren.
Die Erfahrungen, die wir in den vergangenen 15 Jahren seit Gründung der HUK24 gesammelt haben, nutzen wir nun konsequent, um das Online-Angebot unseres Konzerns insbesondere auf huk.de weiterzuentwickeln. Somit haben wir auch hier die Weiche zu digitalen Prozessen gestellt.
Connected Industry: Welche Bedeutung hat Big Data in diesem Kontext für die Versicherungsbranche? Arbeiten Sie mit dem Konzept eines Data Lab?
Eine Versicherung ist seitdem es sie gibt nichts Anderes als Big Data, auch wenn es mit Lochkarten und Großrechnern anfing. Wir arbeiten längst mit sehr großen Datenmengen. Dennoch sehen wir die Herausforderung, riesige Datenmengen in immer kürzeren Zeiten auszuwerten. Das schaffen wir nicht mit gegebenen Infrastrukturen.
Ein Data Lab als solches haben wir nicht, stattdessen ein Business Intelligence Competence Center in der Betriebsorganisation – kurz BICC. Zur Zeit arbeiten wir am Aufbau eines Data Science-Center als abteilungsübergreifende, virtuelle Einheit. Die koordinierende Verantwortung liegt dabei beim BICC. Im Data Science-Center arbeiten überwiegend Versicherungsmathematiker, die mit großen Datenmengen mathematische Modelle entwickeln, um u.a immer bessere Risikobewertungen zu ermöglichen.
Connected Industry: Es heißt, mit Big Data Analytics können Produkte und Prozesse verbessert, aber Versicherungsbetrüger in Angst und Schrecken versetzt werden, können Sie dies bestätigen?
In unserem Bestand befinden sich allein in der Kfz-Versicherung über 11 Millionen Fahrzeuge. Natürlich finden sich darunter auch Kunden, die zu ihrem eigenen Vorteil unwahre Angaben machen, um entweder die Prämie zu minimieren oder die in Anspruch genommenen Leistungen im Schadenfall zu maximieren. Zum Schutz unserer ehrlichen Kunden haben wir seit Jahren sehr gute Routinen zur Aufdeckung im Einsatz, die mit neuen Möglichkeiten der Datenerhebung und -auswertung natürlich immer besser werden.
Für Big Data Analytics sehe ich darüber hinaus ein großes Potenzial, interne Prozesse besser verstehen und optimieren zu können. Ein Beispiel: heute arbeiten etwa 1.500 Mitarbeiter in der Schadensregulierung. Zwar lässt sich ein Elementarereignis, wie beispielsweise Sturm oder Hagel, nur sehr schwer vorhersagen. Big Data Analytics kann hier dennoch helfen, die Prognosequalität zu erhöhen. Damit lassen sich die erforderlichen Kapazitäten besser einplanen. Wir können dadurch die Erreichbarkeit für unsere Kunden im Schadenfall steigern. Analog gilt dies auch für den Betriebs- und Vertriebsbereich, z.B. im aktuell wieder beginnenden Jahreswechselgeschäft in der Kfz-Versicherung.
Connected Industry: Betrachten Sie dabei nur den Versicherten? Oder arbeiten Sie auch mit Ihren Service-Partnern gemeinsam an Verbesserungen Ihrer Leistungen?
Das Hauptgeschäft für uns ist die KFZ-Versicherung, der Hebel zur Wettbewerbsdifferenzierung liegt dabei im Schaden. Unser Ziel, preisgünstigen Versicherungsschutz für unsere Kunden anzubieten, ließ uns bereits vor Jahren die Kostentreiber der Schadensregulierung betrachten. Wir haben daraus folgend ein Werkstattnetz aufgebaut, das es uns ermöglicht, Schadensfälle in mehr als 1.300 Partnerwerkstätten, mit denen wir Rahmenverträge geschlossen haben, reparieren zu lassen. Dadurch können wir günstige Prämien für unsere Kunden realisieren und zunehmend Tarife mit Werkstattbindung mit unseren Kunden schließen.
Um die Prozesse auch auf Werkstattebene zu optimieren, stellen wir unseren Partnerbertrieben umfassende Unterstützungsleistungen zur Verfügung: beispielsweise eine Plattform für den Bezug von Original-Ersatzteilen, integriert in die Dealer-Management-Systeme der Werkstätten. Dadurch können wir unseren Partnerwerkstätten für deren Ersatzteilbedarfe günstigere Konditionen generieren.
Connected Industry: Sie bieten über die klassische Kfz-Versicherung hinaus viele weitere Dienstleistungen an, welcher Antrieb steckt dahinter?
Wir machen uns heute sehr dezidiert Gedanken, weitere Serviceleistungen zu entwickeln und unseren Kunden zielgerichtet anzubieten. Wir befähigen unsere Werkstätten über das Geschäft mit Unfallinstandsetzungen hinaus, Wartung und Service, Haupt- und Abgasuntersuchungen sowie Reifenwechsel durchzuführen, die unsere Versicherten zu Festpreisen nutzen können. Also ein umfassendes KFZ-Serviceangebot.
Seit September live: Wir haben in Düsseldorf einen Standort, an dem wir unseren Kunden auch Gebrauchtfahrzeuge anbieten, die HUK-Autowelt. Das setzt beim starken Kundenbedarf nach günstigen, qualitätsgesicherten Fahrzeugen an und folgt dem allgemeinen Trend hin zu günstiger Mobilität.
Connected Industry: Neben diesen Services, die über das Versicherungsgeschäft hinausgehen, welche Verbesserung bringt die Digitalisierung für Ihr KFZ-Versicherungsangebot direkt?
Wir haben in den vergangenen Monaten gemeinsam mit Bosch eine Telematik-Lösung entwickelt. Diese beinhaltet neben einer Hilfe beim Unfall auch einen Bonus für sicheres Fahren. Bei der Versicherungstelematik geht es darum, das individuelle Risiko auf Basis des tatsächlichen Fahrverhaltens besser einschätzen zu können.
Das übergeordnete Ziel sind risikoadäquatere Prämien für unsere Kunden. Wenn Sie heute eine KFZ-Versicherung abschließen wollen, werden Ihnen vom Versicherer erstmal viele Fragen gestellt, beispielsweise wer fährt, wie viel gefahren wird, ob Sie Wohneigentum haben oder eine Garage besitzen usw. Neben diese Merkmale, die zur Ermittlung des individuellen Risikos verwendet werden, treten künftig telematikbasierte Werte, die das tatsächliche Fahrverhalten abbilden.
Connected Industry: Der Trend zum Connected Car ist für die KFZ-Versicherung also eine neue Hoffnung?
Ja und nein, es ist eine Chance, aber auch ein gewisses Risiko für die Versicherungsbranche. Es ist eine Chance, weil es uns in die Lage versetzt, das tatsächliche Risiko adäquater zu bestimmen und zusätzliche, vernetzte Serviceleistungen anzubieten.
Es existiert allerdings auch ein faktisches Risiko für unsere Branche, welches in der Relevanz der Kfz-Versicherung in der heutigen Form begründet liegt. Wenn das vernetzte Auto zum Alltag wird, wird es ganz sicher weniger Unfälle produzieren. Die Kfz-Versicherung könnte dann entsprechend an Relevanz verlieren und evtl. ganz aus dem Alltag unserer Kunden verschwinden.
Viel dringender ist daher die Frage nach der Verfügbarkeit der Daten. Wenn die Versicherungsbranche später keinerlei Möglichkeit eines Zugriffs auf die Daten aus dem Connected Car bekäme, weil die Automobilhersteller diesen exklusiv für sich beanspruchen und somit folglich bestimmen können, wer die Daten bekommt, wäre das ein großer Wettbewerbsnachteil nicht nur für die Versicherungsindustrie. Wir fordern daher gemeinsam mit weiteren Vertretern des automobilen Aftermarket ein Level Playing Field für Kfz-Fahrzeugdaten.