Interview mit Herrn Robin Mager von N-ERGIE über die Bedeutung der Digitalisierung für die Energiebranche
Robin Mager ist Geschäftsführer der itecPlus GmbH, die IT-Tochter des Nürnberger Energieversorgers N-ERGIE Aktiengesellschaft, die IT-Projekte für den Konzern plant und durchführt. Die itecPlus GmbH hat sich auf die Planung, Inbetriebnahme und Wartung von Informations- und Telekommunikationssystemen spezialisiert.
Connected Industry: Herr Mager, welcher Weg hat Sie bis an die Spitze der IT von N-ERGIE geführt?
Schon im Studium der Wirtschaftsinformatik befasste ich mich mit der Implementierung von IT-Systemen, insbesondere mit SAP-Systemen. Dieses Grundwissen konnte ich dann als Consultant bei Accenture und anderen Unternehmensberatungen vertiefen und zeitgleich fachlich die Liberalisierung der Energiewirtschaft nutzen, um tiefes Branchen-Know-how aufzubauen.
Irgendwann kam ich zu dem Ergebnis, dass ich direkt in der Industrie noch mehr bewegen könnte. Daher bin ich im Jahr 2011 von der Beratungsseite in die Industrie gewechselt mit dem Ziel, langfristig die Gesamtverantwortung für einen IT-Bereich zu übernehmen. So kam ich 2015 zum Energieversorger N-ERGIE in Nürnberg, der in einem besonderen Maße die Megatrends Energiewende und Digitalisierung als ein herausforderndes Umfeld geboten hat.
Connected Industry: Die Trends rund um Big Data und künstlicher Intelligenz beschäftigen Industrie-Unternehmen im Namen der Industrie 4.0, beispielsweise um Energiekosten in der Smart Factory zu senken. Welche Rolle übernehmen Energieversorger dabei und mit welchen Konzepten befassen Sie sich in diesem Kontext?
In diesen Zeiten des Wandels sind Energieversorger wichtige Ansprechpartner für die Industrie. Wir möchten und können der richtige Berater sein, wenn es darum geht, wirtschaftliche und umweltschonende Rahmenbedingungen beim Energieverbrauch zu schaffen.
Derzeit bereiten wir in unserem Netzgebiet mit einer Größe von ungefähr 8.000 km² einen flächendeckenden Roll-Out von intelligenten Zählern und Messsystemen vor. Sie dienen als sichere Kommunikationsplattform, um das Stromversorgungssystem energiewendetauglich zu machen. Die Kernaufgabe ist dabei, Kundennutzen zu stiften, indem wir einerseits die Effizienz und Ausfallsicherheit erhöhen und andererseits auf Basis dieser Kommunikationsplattform Zusatzdienste entwickelt und angeboten werden können. Für uns wäre es langfristig gesehen eine Sackgasse, nur auf den Energieverbrauch von Kunden zu setzen. Wenn wir nicht diejenigen sind, die unsere Kunden an die Hand nehmen und vor dem Hintergrund der Chancen der Digitalisierung auch Beratung bzw. konkrete Lösungen anbieten, werden es andere tun. Deswegen vertreten wir einen partnerschaftlichen Ansatz.
Connected Industry: N-ERGIE nutzt selbst Maschinen und Anlagen. Sind Sie auch intern mit der Industrie 4.0 bzw. damit in Verbindung gebrachte Technologien befasst?
Natürlich, insbesondere über die stetig voranschreitende Ausbreitung der Sensorik. Wir streben ein immer umfassenderes Monitoring von Energieerzeugung und -verbrauch an und möchten die Energieverfügbarkeit noch besser gewährleisten. Ein Thema ist dabei auch die zustandsorientierte Instandhaltung bzw. vorausschauende Wartung.
Die Welt von morgen sieht für uns so aus, dass intelligente Algorithmen für ein Asset – das können Maschinenanlagen aber auch einzelne Bauteile, beispielsweise Kabel sein – über Sensoren vorausberechnen, wann der sinnvolle Zeitpunkt ist, die nächste Wartung präventiv durchzuführen, bevor die Anlage ausfällt. Automatisch wird bestimmt, welcher Techniker mit notwendiger Qualifikation in der Nähe verfügbar ist. Dieser bekommt den Wartungsauftrag dann mobil auf sein Smartphone oder Tablet übermittelt, um über seine Datenbrille in einer Schritt-für-Schritt Anleitung durch den Wartungsvorgang geführt zu werden. Technisch komplizierte Fälle werden dann vor Ort per Videokonferenz mit dem Meister im Büro abgeklärt und die Auftragsabarbeitung per mobilem Endgerät direkt dokumentiert.
Wenn wir auf unsere Erzeugungskraftwerke, Anlagen und Netze schauen, finden wir also viele Analogien zur Industrie 4.0.
Connected Industry: Welche Rolle spielt Big Data Analytics dabei?
Wie erwähnt planen wir ein flächendeckendes Ausbringen von intelligenten Zählern und Messsystemen, wodurch wir eine hohe Anzahl an neuen Messpunkten erhalten werden. Die Prinzipien von Big Data Analytics können dann die dadurch verfügbaren, großen Datenmengen in den verschiedensten Wertschöpfungsstufen eines Energieversorgers nutzbar machen. Beispielsweise wird die intelligente Steuerung des Energieversorgungsnetzes auf Basis dieser Daten, dazu beitragen, den aus den Energiewende resultierenden, investitionsintensiven Netzausbau zu minimieren.
Big Data Analytics sowie eine stärkere Algorithmisierung unserer Prozesse im Energiehandel und der Energieerzeugung tragen dazu bei, auch bei kleineren Erzeugungsanlagen Angebot und Nachfrage schneller und flexibler zusammenzubringen. Im Ergebnis wird die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter gestärkt.
Connected Industry: Solarenergie und die eMobility machen nun auch Konsumenten zu kleinen Energieproduzenten, die Ihre erzeugte oder gespeicherte Energie in das Stromnetz einspeisen möchten. Könnten sich die traditionellen Energielieferanten zukünftig in reine Infrastrukturanbieter entwickeln?
Wir sind von der deutschen Energiewende massiv betroffen. In unserem Netzgebiet speisen etwa 47.000 dezentrale Erzeugungsanlagen Strom ein.
Die Entschleunigung der Energiewende durch das Sinken der Subventionsbereitschaft der Bundesregierung führt bei unseren Kunden zu einem großen Bedarf, deutlich aktiver am deutschen Energiemarkt teilzunehmen. Wenn wir als Branche unsere Erfahrung aus der Energievermarktung nutzen, können wir Synergien schaffen und auch von dieser Dezentralität profitieren, stets nach dem Motto: Wenn wir es nicht tun, werden es andere tun. Mit gesundem Selbstbewusstsein und der Bereitschaft, unsere Erfahrung und Kernkompetenz einzubringen, stellt dieser Wandel für uns und die Energieversorger im Allgemeinen eher eine große Chance als eine Gefahr dar.
Connected Industry: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Herausforderungen in der Energiebranche?
Es gibt meines Erachtens zwei wesentliche Treiber.
Zum einen haben wir die deutsche Energiewende, die es in dieser Komplexität, Geschwindigkeit und Intensität weltweit nur einmal gibt. In Deutschland haben wir eine Zersplitterung des Angebotes. Während es beispielsweise in Frankreich etwa eine Handvoll Energieversorger gibt, haben wir in Deutschland tausende. Aus dieser Tatsache ergeben sich neue Herausforderungen auch für die IT-Infrastruktur.
Der zweite Treiber ist der kulturelle Wandel. Erst vor gut zehn Jahren wurde durch die Liberalisierung der freie Wettbewerb in der Energiewirtschaft zugelassen, was natürlich kulturelle Herausforderungen in der Führungs- und Arbeitskultur zur Konsequenz hat. Wir können es uns nicht mehr leisten, zu zögern und nur zuzuschauen. Wir müssen agiler werden, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und dazu konsequent die Chancen der Digitalisierung nutzen und den Risiken entsprechend aufgreifen und minimieren.
Die digitale Transformation wird auch die deutsche Energiewirtschaft evolutionär, vielleicht sogar revolutionär erfassen.