Interviews mit Partnern und Mitgliedern von Connected Industry

Interview – Die Rolle der IT-Governance im digitalen Wandel

Interview mit Herrn Dr. Patrick Stoll von der TRUMPF GmbH + Co. KG

dr-patrick-stollDr. Patrick Stoll ist mitverantwortlich für Projektportfolioplanung und IT-Governance im Bereich Business Information Services bei der TRUMPF GmbH + Co. KG. Er ist Buchautor im Themengebiet E-Procurement und darüber hinaus Gastdozent für den Studiengang ERP-Systeme & Geschäftsprozessmanagement an der FH Kufstein Tirol.

Connected Industry: Herr Dr. Stoll, welcher Weg hat Sie zur IT-Governance bei TRUMPF geführt? Womit befasst sich die IT-Governance und welche Kenntnisse sind dafür nötig?

Ich bin bei TRUMPF als Projektportfolio-Manager eingestiegen und habe dann meinen Aufgabenbereich Stück für Stück auf die übrigen Themen im Bereich IT-Governance ausgedehnt. Ich war selbst überrascht, wie viele Themen aus meinem bisherigen Werdegang mit IT-Governance Berührung haben. Beispielsweise ist in der IT-Governance Einkaufswissen sehr wichtig, denn ein wesentlicher Teil der IT-Governance besteht aus der Steuerung der Beschaffung von externen IT-Leistungen. Ein Händchen für Controlling ist förderlich, denn ohne Zahlen und Fakten kommt man in der IT-Governance nicht weit. Weiterhin sollte man selbst etwas von IT-Architektur verstehen. Wenn man im operativen Geschäft der IT nicht mitreden kann, ist das ein erheblicher Nachteil. Neben den greifbaren IT-Kenntnissen bedarf es aber auch Soft Skills. In der IT-Governance arbeitet man mehr mit Menschen als mit IT, daher muss man Spaß haben, mit Menschen zu arbeiten. Grundsätzlich ist IT-Governance eher ein Thema für Generalisten als für Spezialisten.

Connected Industry: Die aufgezeigten Visionen rund um die Themen Big Data und Industrie 4.0 überschlagen sich zurzeit nur so, welche Rolle spielt die IT-Governance dabei? Droht diese im Eifer des Gefechts außer Acht gelassen zu werden?

Das kommt ganz massiv darauf an, was Sie der IT-Governance zurechnen. Sobald Sie das Thema IT-Sicherheit der IT-Governance zuschlagen, spielt die IT-Governance eine entscheidende Rolle bei diesen Trendthemen. Weiterhin sind bei diesen Themen in der Regel externe Systemlieferanten und Dienstleister involviert. Deren Auswahl und Steuerung betrifft ebenfalls die IT-Governance.

Generell kann man sagen, dass sowohl Big Data als auch Industrie 4.0 für die allermeisten Unternehmen strategische Themen sind. Die IT kann und soll die Unternehmensstrategie als Enabler unterstützen. Die Aufgabe der IT-Governance ist es, im ersten Schritt den Fit zwischen Unternehmensstrategie und IT-Strategie sicherzustellen und im zweiten Schritt die IT-Strategie über entsprechende Prozesse in Handlungsanweisungen für das IT-Tagesgeschäft zu übersetzen. Dafür zu sorgen, dass im Tagesgeschäft Einzelentscheidungen im Sinne der IT-Strategie getroffen werden, das ist die hohe Kunst.

Connected Industry: Ist IT-Governance gleich IT-Compliance?

Es gibt eine Schnittmenge zwischen der Compliance und der IT-Governance. Natürlich gibt es die Möglichkeit, in der IT-Governance mit der Compliance als Werkzeug zu arbeiten, dies alleine deckt die vielen Facetten der IT-Governance jedoch nicht ab.

Connected Industry: Womit befassen Sie sich in der IT-Governance genau?

Unser Hauptthema ist das Multi-Projekt- und Portfolio-Management. Enterprise Architecture Management sowie das IT-Sourcing, also die Beschaffung von IT-Systemen, sind weitere Handlungsfelder. Bei uns aktuell nicht im Fokus, aber auf der Roadmap, ist das IT-Prozessmanagement, dass die Fragen beantwortet, wie Prozesse in der IT gesteuert, überwacht und verbessert werden können, sowie die Steuerung der IT-Sicherheit. Insgesamt ist das IT-Governance ein strategisches Sach- und Arbeitsgebiet, d.h. die IT-Governance hat selbst keine operativen Aufgaben, sondern stellt den Rahmen für das operative IT-Geschäft.

Connected Industry: Welche Herausforderungen stellt der digitale Wandel für die IT-Governance?

Die digitale Transformation führt dazu, dass bei Unternehmen der Bedarf an IT deutlich ansteigt – viel stärker als jemals zuvor. Es stehen im Verhältnis immer knappere Mittel zur Verfügung, die immer mehr IT-Herausforderungen bewältigen müssen. Das bringt die IT-Governance enorm unter Druck, weil sich der Zielkonflikt zwischen strategischen Projekten und Erhaltungsmaßnahmen verschlimmert. Ein Beispiel für Erhaltungsmaßnahmen war die SEPA-Einführung: Sie war kein Element einer Strategie der Unternehmen, aber wenn sie nicht umgesetzt worden wäre, hätten Unternehmen von einem Tag auf den anderen keine Überweisungen mehr tätigen können. Ein weiteres Beispiel ist die Umstellung auf neuere Betriebssysteme, wenn der Hersteller keinen Support mehr leistet. Durch solche Maßnahmen entsteht eine Grundlast an Projekten, die vor strategischen Projekten bedient werden müssen.

Connected Industry: Das alles klingt fast schon nach Innovationsbremsmanöver. Nimmt die IT-Governance die Rolle des Spaßverderbers ein?

IT-Governance ist in der Tat ein Stück weit Selbstverwaltung. Man muss es sich aber einmal über die handelnden Personen vorstellen: Wenn ein Unternehmen vielleicht 25 IT-Mitarbeiter hat, kann der CIO noch recht einfach in Erfahrung bringen, was in der IT passiert, welche IT-Systeme im Einsatz sind und wie sie genutzt werden. Für deutlich größere Unternehmen, spätestens aber ab dem gehobenen Mittelstand mit einer IT größer als 150 Mitarbeiter, werden zehn Mitarbeiter benötigt, die die IT-Governance verantworten und umsetzen, und damit erreichen, dass in der IT auch wirklich das gemacht wird, was dem Unternehmen nutzt, und dass bei Problemen gegengesteuert werden kann. Die IT-Governance dient dem Unternehmen also nicht dazu, Innovation durch IT zu verhindern, sondern eben erst zu ermöglichen, weil die PS der IT sonst nie auf die Straße des Unternehmens kommen.

 

Interview – Industrie 4.0 dank durchdachter Vernetzung

Interview mit Herrn Andreas Berz von Red Lion Controls Inc.: Warum die Industrie 4.0 nur mit durchdachter Vernetzung funktioniert

andreas-berzAndreas Berz ist Strategic Account Manager beim Firmenmitglied Red Lion Controls Inc. und begleitet in dieser Funktion Kunden in Deutschland bei der Entwicklung und Umsetzung von Industrie 4.0 und IIoT Strategien.
Nach dem technischen Studium der Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Datenverarbeitungs- und Übertragungstechnik wechselte Andreas Berz in den Vertrieb komplexer Automatisierungssysteme, Visualisierung und M2M bei verschiedenen internationalen Anbietern. Insbesondere die Entwicklung der Kommunikationstechnik und das Zusammenspiel von serieller Kommunikation, über Industrial Ethernet, bis hin zu M2M Mobilfunk und dem Internet der Dinge, beschäftigten ihn über die letzten 18 Jahre hinweg sehr intensiv. Dies macht ihn zu einem gefragten Experten für die Vernetzung und Integration von Automatisierungskomponenten in IT und Cloud (IIoT) als wesentlichen Bestandteil jeder Industrie 4.0 Initiative.

Connected Industry: Herr Berz, Industrie 4.0 gilt derzeit als der größte Technologie-Trend der internationalen Industrie, dabei scheint jede Branche diesen Begriff für sich selbst zu interpretieren. Was bedeutet Industrie 4.0 denn nun wirklich?

Eigentlich ist dies ganz einfach zu erklären. Wir sprechen hier von der vierten industriellen Revolution. Und wenn man von „Revolution“ spricht, bedeutet dies einen grundlegenden Umbruch in der industriellen Fertigung. Daraus folgt logischerweise, dass Firmen, die sich nicht damit beschäftigen, Gefahr laufen von der Bildfläche zu verschwinden.

Nun ist Industrie 4.0 aber ein sehr allgemeiner Überbegriff, der eben nur diesen technologischen Umbruch beschreibt. Was dies im Einzelnen für meine Branche, für mein Unternehmen bedeutet lässt sich leider nicht in ein paar Sätzen formulieren.

Was aber ganz klar zu identifizieren ist, ist die treibende Kraft dieser Revolution: Bei der ersten industriellen Revolution war die Erfindung der Dampfmaschine die treibende Kraft. Der „Dampf“ der vierten industriellen Revolution sind ganz einfach „Daten“. Egal was meine Firma produziert, wenn ich „Industrie 4.0“ umsetzen möchte, dreht sich alles um das Erfassen, Verteilen, Kontrollieren und Analysieren von Daten.

Connected Industry: Ist der Begriff „Industrie 4.0“ wirklich treffend und zukunftsfähig?

Durch die hohe Abstraktheit des Begriffes lässt er viel Interpretationsspielraum, dass nutzen geschickte Marketingstrategen um jedem einzelnen Produkt dieses Label aufdrucken zu können. Innerhalb von Industrie 4.0 gibt es aber eine Menge Disziplinen, die wesentlich treffender sind, und an die sich Firmen viel eher ‚herantrauen‘. Dazu gehören zum Beispiel die „Cyber Physical Systems“, die „Vernetzte Fabrik“ und das „Industrielle Internet der Dinge (IIoT)“.

Connected Industry: Das Konzept vom Internet der Dinge scheint ein wesentlicher Kern der Industrie 4.0 zu sein, ist eine Anbindung an das Internet unbedingt notwendig?

Das Internet der Dinge ist in der Tat eine der wohl revolutionärsten Technologien dieser Zeit. Auch hier dreht sich alles um Daten und Ihre Verwendung. Im Consumer-Markt geht der Trend ganz klar und unaufhaltsam zur Verlagerung von Datenspeichern in die Cloud, also ins Internet. Da das Internet heute fast überall verfügbar ist, macht dies auch unbedingt Sinn. Im industriellen Sektor ist das in vielen Fällen nicht erwünscht und auch nicht notwendig. Den Nutzen, der sich aus meinen Daten ableiten lässt, kann ich auch innerhalb meines eigenen, kontrollierten Netzwerkes erzielen.
Hier sehen schon wir wie komplex und unterschiedlich das Thema in den verschiedenen industriellen Märkten ist.

Connected Industry: Welche Anwendungsszenarien in der Produktion und Logistik werden mit den M2M-Technologien heute schon umsetzbar?

Durch die intelligente Verwendung produktionsrelevanter Daten lassen sich viele Wertpotenziale ausschöpfen. Angefangen von voreilender Wartung, über effizientere Produktionsplanung und optimiertem Ressourceneinsatz, bis hin zur intelligenten Fertigung von individualisierten Massenprodukten. Die Technologien hierzu sind vorhanden, es geht nur darum diese mit anderen Technologien zu verbinden und nutzbar zu machen.

Connected Industry: Sollte die Vernetzung der Maschinen und Anlagen eher zentral oder dezentral gestaltet sein?

Sie sollte vor allen Dingen einheitlich sein. Der „Datenschatz“ lässt sich nur heben, wenn alle Daten an einem Punkt zusammenlaufen und als Gesamtheit nutzbar sind. Ein Datenpunkt alleine ist wertlos. Genauso wenig wie eine Umfrage nicht repräsentativ sein kann, wenn ich nur 3 Leute befragt habe…

Aber um die Frage zu beantworten: Ganz klar dezentral. Die wachsenden Datenströme müssen an dezentraler Stelle gefiltert und gesteuert werden, ansonsten ist das System nicht beherrschbar und auch zu fehleranfällig.

Connected Industry: Wie kann man sich das technisch vorstellen?

Alle Daten meiner Maschinen, Sensoren und Energiezähler, sowie sonstiger relevanter Quellen müssen auf eine gemeinsame „Sprache“ sowie ein gemeinsames Datenformat gebracht werden. Erst dann können diese Daten mit der IT-Welt verbunden werden, und erst dann erschließen sich mir die Potenziale von „Industrie 4.0“, durch die Verbindung mit Kunden- und Lieferantendaten oder durch Big Data – Analytics. Dezentrale Datenmanager bilden hierbei die Schnittstellen zwischen Automatisierung und IT. Dort findet nicht nur die Übersetzung statt, sondern auch Vorverarbeitung, Filterung, Überwachung und Pufferung.

Connected Industry: Was sind typische Fehler, die vermieden werden sollten?

Es gibt tatsächlich ein paar „Klassiker“. Hier die Top 4:

  • Zu viele Daten: Eine Maschine produziert wesentlich mehr Daten als sinnvoll zu nutzen wären. Man sollte sich zunächst auf die wichtigsten Daten beschränken und den Rest ausblenden, sonst drohen Chaos und Performanceverluste.
  • Zu individuelle Vernetzung: Jede Maschine wird mit einem spezifischen Gateway angebunden, mit dem Resultat eines unüberschaubaren, und nicht beherrschbaren Datenchaos.
  • Zu einfache Vernetzung: Die Maschinen werden nicht über einen Datenmanager, sondern über einfache Gateways angebunden. Dadurch steigt die Komplexität in der Zentraleinheit und somit des Gesamtsystems.
  • Zu unflexible Anbindung: Das Datenbedürfnis bei einer Industrie 4.0 Umsetzung ändert sich in immer kürzeren Intervallen. Systeme die nicht an die Bedürfnisse angepasst werden können, sind eher hinderlich als hilfreich.

Connected Industry: Wie könnten Unternehmen am einfachsten Einsteigen in die Vernetzung? Was wäre der erste Schritt?

Der erste Schritt ist immer eine Bestandsaufnahme. Welche Daten können in meinem Betrieb eine zentrale Rolle spielen? Woraus besteht mein „Datenschatz“? Welche Schnittstellen habe ich zur Verfügung um diese Daten abzugreifen?

Und daraus ergeben sich dann schon die weiteren Schritte, bei denen neben der technischen Lösung auch der Sicherheitsaspekt und das eigene Personal mit einbezogen werden muss.
Für die technische Umsetzung gibt es tatsächlich heute schon offene, flexible und skalierbare Lösungen. Industrie 4.0 ist keine Raketenwissenschaft, und kostet auch kein Vermögen wenn man zunächst einmal nur die Grundvoraussetzung für die Revolution schafft: Die vernetzte Fabrik, in der alle relevanten Daten an jeder Stelle in einem einheitlichen Format nutzbar sind.

 

Interview – Digitalisierung in der Schifffahrtsindustrie

Interview mit Dr. Michael Lontke von Hamburg Süd über die Bedeutung der Digitalisierung in der Schifffahrtsindustrie

dr-michael-lontkeDr. Michael Lontke ist Global Head of Information Technology & Organization bei der Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft KG, ein Unternehmen der Oetker-Gruppe. Seit April 2006 verantwortet er die weltweite IT der Hamburg Süd. Die IT-Verantwortung umfasst sowohl die IT-Strategie, das Demand- und Supply-Management als auch den weltweiten Betrieb der IT-Systeme. Neben der ITVerantwortung, ist Dr. Lontke auch für Teile des Organisationsmanagements verantwortlich. Zuvor war Dr. Lontke über 11 Jahre bei einem führenden globalen Nahrungsmittelkonzern beschäftigt. 

Connected Industry: Herr Dr. Lontke, welcher Weg hat Sie bis an die Spitze von Hamburg Süd geführt?

Schon parallel zu meinem Studium hatte ich die Möglichkeit Informatik in praktischen Projekten umzusetzen und die Vorteile der Automatisierung kennenzulernen.

Ich hatte danach viele verschiedene Verantwortungen in IT-Organisation bis hin zu globalen Rollouts von Logistik-Templates, so hatte ich auch das Interesse einmal die IT ganzheitlich zu verantworten. Bei Hamburg Süd hat dies 2006 geklappt und seitdem konnten viele große Transformationen erfolgreich abgeschlossen werden.

Connected Industry: Wie präsent ist die Digitalisierung in der Schifffahrtsindustrie gegenwärtig?

Im Rahmen meiner Promotion beschäftigte ich mich mit Algorithmen im Bereich der Künstlichen Intelligenz, der Genetik sowie klassischen Operations Research. Damals sprach man zwar noch nicht von disruptiven Geschäftsmodellen, aber das Potential dieser Algorithmen war erkennbar. Kombiniert mit dem mooreschen Gesetz des exponentiellen Wachstums der Rechenleistungen stehen wir heute genau vor diesen neuen Möglichkeiten, die unsere Welt radikal verändern.

Die Digitalisierung der Schifffahrt steht noch ganz am Anfang. Doch diejenigen, die in der Lage sind, ihre globalen Prozesse zu kennen und zu standardisieren, werden die Gewinner bei der Automatisierung und Digitalisierung sein.

Dabei muss man verstehen welche Prozesse man digitalisieren möchte, denn Schifffahrt ist nicht gleich Schifffahrt und die Standardisierung von Prozessen in 100 Ländern der Welt keine triviale Aufgabe.

Connected Industry: Welche Mehrwerte vermuten Sie, wenn in ihrer Industrie vermehrt Daten erhoben und rückblickend analysiert werden würden?

Ich sehe riesige Potentiale verteilt über die gesamte Wertschöpfungskette. Es beginnt bei der Bereitstellung von Leercontainern, Steuerung der Schiffen, der Vorhersage bei der Wartung von Komponenten oder ganzen Containern,  bis hin zum FCL oder LCL zum Kunden.

Erste Ansätze sehen wir z. B. im Hamburger Hafen, wenn entladene Container registriert werden, um Leerfahrten von Containern hin und weg vom Leerdepot zu vermeiden oder aber den Hinterlandverkehr an die Anläufe von Schiffen an die Terminals zu binden.

Die rückblickende Analyse der Daten ermöglicht es, die Algorithmen und die Vorhersagen ständig zu verbessern. Der Ausfall einer Weiche im Hamburger Hafen kann erhebliche Staus und Kosten verursachen. Die Bahn hat auf der Basis historischer Weichenausfälle Algorithmen entwickelt, welche es ermöglichen, nahezu 90 % aller Ausfälle vorherzusagen und durch Wartungsmaßnahmen zu vermeiden.

Connected Industry: In der Logistik spielt die Zeit eine entscheidende Rolle. Daher dürfte der größte Benefit vermutlich in der Bereitstellung und Analyse von Daten in nahezu Echtzeit liegen?

Ich denke es gibt unterschiedliche Szenarien, aber sicher ist, dass die Bereitstellung von Daten sowie deren intelligente Analyse in Echtzeit auf der Basis des mooreschen Gesetzes einen Quantensprung in Richtung Digitalisierung darstellt. In einigen Jahren wird man Rechner für 1000 $ bauen können, die so leistungsfähig wie der Mensch sind.

Einige Containerreedereien sind dazu übergegangen eine zentrale Steuerung ihrer Schiffe in Kontrollzentren vorzunehmen. Hier sitzen Experten und u.a. auch Kapitäne, die den Verlauf der einzelnen Routen beobachten und in Abstimmung mit dem jeweiligen Kapitän Korrekturen vornehmen.  Ich kann mir hier viel mehr Unterstützung vorstellen. Warum fahren Schiffe nach Zeitplänen, wenn doch aufgrund der Datenlage klar ist, dass am geplanten Terminalanlauf Stau ist? Durch das rechtzeitige Anpassen der Geschwindigkeit kann Bunker eingespart und so die CO2-Belastung reduziert werden.

Connected Industry: Um den digitalen Wandel in der Schifffahrtsindustrie zu vollziehen, was wären Ihrer Meinung nach die nächsten wichtigen Schritte?

Zunächst einmal ein kultureller Wandel: Im angelsächsischen Sprachraum gibt es viel eher die Bereitschaft auch mal etwas auszuprobieren und Misserfolge zu akzeptieren. Nicht jedes Projekt liefert die erwarteten Erfolge, aber hatte man die richtige Idee, könnten ganze Geschäftsfelder verändert oder gar disruptiv ganze Märkte neu sortiert werden. Hierfür ist es erforderlich, im IT-Budget Raum für das „Ausprobieren“ zu lassen.

Natürlich ist es auch wichtig, die Möglichkeiten bei der Digitalisierung in den Unternehmen von der Geschäftsführung bis hin zu den leitenden Angestellten anhand von Beispielen bekannt zu machen. Sicher ist dies nicht das alleinige Thema der CIO’s in den Unternehmen, doch hier kann der CIO seiner Rolle als Business Enabler gerecht werden.

Daher sind Interviews wie dieses oder aber Vorträge und Veranstaltungen, zugeschnitten auf die jeweiligen Fachverantwortlichen, ein wichtiger Multiplikator.

 

Interview – Industrie 4.0 aus Sicht von KUKA Roboter

Interview mit Heinrich Munz, Lead Architect Industry 4.0 bei KUKA Roboter

heinrich_munz_kukaHeinrich Munz ist Lead Architect Industry 4.0 bei der KUKA Roboter GmbH, Augsburg. Er gründete nach dem Elektronik-Studium 1985 zusammen mit Partnern die LP Elektronik GmbH, bei der er als Geschäftsführer für Entwicklung, Vertrieb und Marketing verantwortlich war. Dies führte 1996 zur Übernahme der Firma LP Elektronik durch KUKA Roboter. 1999 folgte Heinrich Munz dem Ruf des Mutterunternehmens, wo er zunächst als Senior Developer System Engineering in der seriennahen Vorentwicklung mit der Planung und Entwicklung von zukünftiger Steuerungstechnik beschäftigt war. Um dem immer stärker werdenden Einfluss von Vernetzung und Digitalisierung auf die Automatisierung Rechnung zu tragen, ist Herr Munz seit geraumer Zeit als Lead Architect Industry 4.0 für KUKA tätig.

Connected Industry: Was bedeutet Industrie 4.0 aus Ihrer Sicht?

Für KUKA ist Industrie 4.0 zunächst die komplette Digitalisierung der Fertigungsindustrie mit den Hauptzielen Effizienzsteigerung und neuen Business-Modellen. Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe 1 der Industrie 4.0-Plattform und dort haben wir den Begriff der Industrie 4.0 auch auf die Prozessindustrie ausgedehnt. Industrie 4.0 ist somit die komplette Digitalisierung der Prozess- und Fertigungsindustrie – in einem wesentlich höheren Maße als es heute der Fall ist.

Connected Industry: Welche Themen setzt KUKA im Kontext von Industrie 4.0 um?

Wir haben angefangen unsere eigene Produktion vollständig zu digitalisieren. Dies erreichen wir, indem wir damit begonnen haben, Daten aus bestehenden Produktionsanlagen zu sammeln, ohne deren Funktion zunächst zu verändern. Das Ziel war ohne Änderung bestehender Steuerungen zusätzliche Funktionen zu etablieren. Das zweite, was wir entwickeln, ist die KUKA Connect Cloud, welche wir auf der Hannover Messe 2016 vorgestellt haben. In diese Cloud werden die Daten aus unserer Produktion hochgeschickt, um entsprechende Big Data Analysen und Optimierungen zu betreiben. Hierzu haben wir auch das Tochterunternehmen connyun (www.connyun.com) gegründet, die diese cloudbasierten Anwendungen für die Digitalisierung der Produktion, Logistik und ‚Connected Products‘ am Markt positioniert.

Connected Industry: Welche Bedeutung haben dabei Smarte Dienstleistungen?

Hier sind wir vollständig konform mit dem Industrie 4.0 Gedankengut, dass ein Großteil des Erfolges darin liegen wird, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Bei uns ist dabei die Grundidee „Everything as a Service“ von hoher Bedeutung, also dem Kunden nicht mehr nur Produkte zu verkaufen z.B. in Form von Robotern, sondern ihm das zu bieten was er wirklich haben will – nämlich die Bewegung. Der Fokus verschiebt sich vom Verkauf von Produkten zur Monetarisierung des Kundennutzens. Die Produkte selbst werden Mittel zum Zweck und bleiben unter Umständen in unserem eigenen Besitz oder wir betreiben diese im Kundenauftrag (Betreibermodelle).

Connected Industry: Inwieweit wird die Mensch-Roboter-Kollaboration die Arbeitswelt in den nächsten Jahren verändern?

Die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) haben wir schon seit einigen Jahren serienreif in Form unseres Leichtbauroboters LBR iiwa eingeführt. Dieser hat wenig Eigengewicht bei vergleichsweise hohen Payloads, zudem sichere Gelenk-Momenten-Sensoren, wodurch wir auf Zäune verzichten können und Menschen Hand in Hand mit dem Roboter zusammenarbeiten lassen können. Montiert auf einer autonom navigierenden Plattform wird der Leichtbauroboter zum mobilen Roboter KMR iiwa. MRK und Mobilität: Das sind wichtige Bestandteile von Industrie 4.0.

Connected Industry: Was ist aus Ihrer Sicht der nächste große Schritt hin zur Industrie 4.0?

Was als nächstes nach dem Datensammeln und -auswerten kommen muss, ist zum einen das Steuern aus der Cloud heraus und zum andern durchgängig digitalisierte Wertschöpfungsketten. Diese lassen sich dadurch verwirklichen, dass man sich gemeinsam auf bestimmte Datenformate und Standards einigt, so dass ein Glied der Wertschöpfungskette seine Daten dem anderen direkt weitergeben kann. Und dies über alle Glieder der Wertschöpfungsketten hinweg Und diese Wertschöpfungsketten müssen durchgängig digitalisiert werden – dies ist die nächste große Herausforderung, denn hier geht es über Firmengrenzen hinweg und Vertrauen spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle.

Connected Industry: Sehen Sie Google als Wettbewerber?

Man muss Google immer ernst nehmen, aber Geld alleine reicht in diesem Umfeld nicht aus. Aus meiner langjährigen Erfahrung ist klar, dass Robotik nicht aus 99% IT und ein wenig Mechanik besteht, sondern dass Mechanik genauso wichtig ist wie die IT. Die richtige Kombination von beiden Bereichen macht das Ergebnis aus.

Interview – Virtualisierung in der Industrie 4.0

Interview mit Herrn Dr. Helmut Figalist von Siemens über die Virtualisierung von Produkt- und Produktionsdaten in der Industrie 4.0

Dr. Helmut Figalist ist Leiter der Vorfeld-Entwicklung der Digital Factory Division der Siemens AG. Unter anderem war er Vorsitzender und Mitbegründer des ZVEI-Arbeitskreises für modulare Automation von 2012 bis 2014.

Connected Industry: Herr Dr. Figalist, Industrie 4.0 gilt derzeit als der größte Technologie-Trend der internationalen Industrie, dabei scheint jede Branche diesen Begriff für sich selbst zu interpretieren. Was bedeutet Industrie 4.0 aus Ihrer Sicht?

Dr. Figalist: Der Begriff hat viele Facetten, die wir konkret als Digitalisierung der Industrie bezeichnen können, denn die Digitalisierung ist der Kern dieser Entwicklung. Es ist eine weitere Stufe der Industrialisierung. Der eigentliche Begriff „Industrie 4.0“ ist eine Initiative der deutschen Bundesregierung, um die Wirtschaft für dieses Phänomen der Digitalisierung fit zu machen, damit Deutschland auch in Zukunft als Industrienation wettbewerbsfähig bleibt.

Connected Industry: Ist der Begriff „Industrie 4.0“ wirklich treffend und zukunftsfähig?

Dr. Figalist: Um große Veränderungen, die immerhin die ganze Gesellschaft betreffen, vorwärts bringen zu können, braucht es Begriffe, die ein Konzept transportieren. Für diesen Anspruch scheint der Begriff „Industrie 4.0“ recht erfolgreich zu sein. Natürlich kann sich das zukünftig ändern, denn letztendlich werden die einzelnen Technologien, die hinter diesem Begriff stehen, die eigentliche Wandlung bewirken.

Connected Industry: Sie waren ein Mitbegründer des ZVEI-Arbeitskreises für modulare Automation. Welche Rolle spielt die modulare Produktion für die Industrie 4.0?

Dr. Figalist: Modulare Anlagen sind bereits seit einigen Jahren ein Thema der Prozessindustrie. Heute wird neu diskutiert, ob die Industrie 4.0-Ansätze hilfreich für den erfolgreichen modularen Aufbau solcher Anlagen sein können.

Connected Industry: Wie geht Siemens den Trend der Industrie 4.0 an?

Dr. Figalist: Die Digitalisierung der Industrie griff Siemens bereits einige Jahre vor dem Auftauchen des Begriffs Industrie 4.0 auf und wird mit Namen „Digital Enterprise“ vorangetrieben. Wir entwickeln eine Suite von Software-Produkten, die dem Kunden helfen soll, den Produktlebenszyklus zu digitalisieren und nachvollziehbar zu machen. Wir haben bereits eine Reihe von Produkten am Markt, mit der wir mehr Produktivität und Effektivität in der Entwicklung von Produkten und Produktionssystemen erreichen können. Der Schlüssel zur Digitalisierung der Industrie liegt in der Verbindung der virtuellen Welt der Daten mit der physischen Welt der Produkte, das ist unser Ansatzpunkt für Industrie 4.0.

Connected Industry: Wie wird dieser Ansatz konkret verfolgt?

Dr. Figalist: Wir digitalisieren und virtualisieren das Product Lifecycle Management und die Produktentwicklung. Für unsere Kunden spielen Produkt- und Produktionsqualität eine wichtige Rolle, aber auch die Verkürzung der Entwicklungszeit steht immer mehr im Vordergrund. Im heutigen internationalen Wettbewerb gilt Time-to-Market als ein Schlüsselkriterium für den Erfolg.
Unsere Lösungen beginnen mit der 3D-CAD-Entwicklung und -Simulation für die Produktentwicklung. Beispielsweise läuft die Entwicklung eines neuen Auto-Modells weitgehend virtuell ab. Statt Produkte physisch als Prototyp immer wieder zu bauen, zu verwerfen und neu zu bauen, wird heute virtuell gebaut und getestet.
Mit den Methoden der Simulation und Datenanalyse können bestimmte Ziele bereits vor dem realen Prototyp optimiert werden, z. B. zur Optimierung des Luftwiderstandes, um beim Beispiel der Automobil-Entwicklung zu bleiben.
Dies gilt jedoch nicht nur für das zu produzierende Endprodukt, sondern auch die Produktionsanlagen. Mit weiterführender Engineering Software können wir nicht nur Produkte, sondern auch Produktionsanlagen mit einem hohen Grad an Automatisierung virtuell modellieren und simulieren. Die Anlagen werden also lange vor der physischen Errichtung virtuell gebaut und ausgiebig getestet. Im dritten Zug ermöglichen wir die Speicherung von Maschinendiagnose-Daten in der Cloud, die mit Data Analytics untersucht werden können. Die daraus generierbaren Erkenntnisse machen weitere Optimierungen möglich, denn wenn die Anlage erstmal steht, muss diese dauerhaft produktiv und effizient gehalten werden.

Connected Industry: Wo finden die Analysen der Maschinendaten statt und welche Ergebnisse sind erfahrungsgemäß zu erwarten?

Dr. Figalist: Die Analysen finden durch Experten oder auch automatisiert in der Cloud statt. Wir erreichen mit der Analyse von Echtzeitdaten zum einen die proaktive Früherkennung einer Anlagengefährdung, zum anderen können die Daten auch dazu genutzt werden, um Erkenntnisse über sinnvolle Änderungsmöglichkeiten am Anlagen- und Produktdesign zu gewinnen.

Interview – Industrie 4.0 mit vernetzten Maschinen

Interview mit Martin Buck, Vorsitzender des Vorstandes und CTO der ifm Unternehmensgruppe über Industrie 4.0

martin-buckMartin Buck ist Vorsitzender des Vorstandes der ifm stiftung & co. kg. Nach Gründung im Jahre 1969 hat sich ifm zu einem der weltweiten Branchenführer im Bereich der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb von innovativen Sensoren, Steuerungen und Systemen für die industrielle Automatisierung entwickelt. Heute zählt das in zweiter Generation geführte Familienunternehmen mit rund 5.200 Beschäftigten in über 70 Ländern zu den weltweiten Branchenführern.

Herr Buck, Industrie 4.0 ist ein weites Feld, welche Lösungen entwickelt ifm in diesem Kontext?

Hier haben wir zunächst ein breites Portfolio an Sensoren mit IO-Link-Standard entwickelt. Zudem haben wir uns damit beschäftigt, wie man Daten vom Sensor weiter in Richtung zentrale Rechnerebene bekommt. Aus unserer Erfahrung werden in Zukunft ca. 20% der Daten, die man aus dem Sensor herausbekommt, die Anlage steuern und 80% der Daten sind da, um Maschinenzustände zu erfassen oder Qualitätsinformationen zu erhalten. Dies erfordert eine offene Architektur, so dass man auch die Möglichkeit hat, Daten abzuzweigen, um diese dann direkt an die nächsthöhere Ebene zu übertragen. Hier setzen wir an und verfügen mittlerweile über entsprechende Produkte, um Daten an die nächsthöheren Ebenen abzuzweigen. Die dafür notwendige Weiche besteht aus Hardware und Software – der LINERECORDER. Dieser ist ein Kommunikationskünstler, der nach unten an den IO-Link anknüpft und nach oben über verschiedene Protokolle kommunizieren kann. Der LINERECORDER fügt sich als ein Kommunikationsknoten in die Maschine ein, so dass die Maschinendaten  hoch zur Leitstandebene kommuniziert werden können. Auf dieser SCADA/MES-Ebene (Supervisory Control and Data Acquisition) haben wir das LINERECORDER Framework, der die Parametrierung und Überwachung unterschiedlichster Sensoren vereinfacht. Die Entwicklung ging so weit, dass wir nicht nur auf dieser SCADA/MES-Ebene blieben, sondern auch die Anbindung bis ins ERP-System realisieren konnten. Hier haben wir in Zusammenarbeit mit SAP eine Schnittstelle geschaffen, von der LINERECORDER-Ebene bis ins SAP hinein. Dadurch schaffen wir die vollständige Durchgängigkeit – vom Sensor über IO-Link weiter via LINERECORDER über die Prozessleitebene hinaus hin zum SAP ERP.

Dinge, die wir mit Kunden in diesem Bereich schon realisiert haben, liegen im Bereich Condition Monitoring und Energy Monitoring. Hier geht es beispielsweise bei unserem Kunden Gea um Separatoren auf Schiffen. Serviceeinsätze wären hier sehr teuer, da man zunächst zu den Schiffen vor Ort fahren müsste. Die Zustandsdaten dieser Separatoren werden über mobile Datenübertragung an eine Zentrale in den Leitstand verschickt und überwacht. Dort kennt man dann den Zustand der Separatoren und kann Wartungen durchführen oder Servicepläne erstellen. Im Ergebnis machen wir also die Shop Floor Ebene in der SAP Ebene verfügbar.

Welche Möglichkeiten könnte man hier noch weiter entwickeln?

Ich denke, dass Geschäftsmodelle entstehen, in denen nicht mehr mit Hardware gehandelt wird, sondern mit Diensten. Weitere Möglichkeiten liegen im Bereich Condition Monitoring, wenn die Anlage mit dem ERP-System vernetzt ist und damit auch mit dem gesamten Ressourcenplan im Unternehmen. Dann kann die Anlage den eigenen Zustand erfassen undwenn beispielsweise der Antrieb bedrohliche Anzeichen von Verschleiß zeigt, kanndiese Information in das SAP System weitergeleitet werden. Dort sind dann alle Informationen verfügbar um den Wareneingang des neuen Antriebs zu überwachen, einen Serviceeinsatz zu planen und die entsprechende Produktionsplanung darauf abzustimmen. Niemand müsste mehr einschreiten und ein ungeplanter Stillstand wäre zuverlässig abgewendet

Wie beurteilen Sie den Reifegrad der deutschen Wirtschaft bei Industrie 4.0?

Beim Breitbandausbau stimme ich zu, dass Deutschland noch hinterherhinkt. Zu Industrie 4.0 passiert jedoch bereits einiges in sehr vielen Unternehmen, so dass ich Deutschland insgesamt nicht schlecht aufgestellt sehe. Wo wir dagegen aufpassen müssen, ist, dass wir nicht den großen amerikanischen Daten-Firmen, wie Google, nacheifern , um diesen im direkten Wettbewerb zu begegnen, sondern die Stärke von Deutschland, die Innovationskraft aus dem Mittelstand fördern sollten. Bei der ganzen Diskussion um Datenhandling oder Cloud Computing sollten erstens einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu würde es der Innovation vor allem gut tun, wenn Daten und Dienste getrennt werden. Die Daten sollten in einem rechtlichen Raum liegen, der europaweit harmonisiert ist und separat dazu sollte es Dienstanbieter geben, die auf diese standardisiert abgelegten Daten zugreifen können und damit Mehrwertdienste und Services anbieten können. Dadurch entsteht Wettbewerb, der Innovationen fördert. Wir müssen uns also auf unsere Stärken besinnen und den Zugang zu den Daten „demokratisieren“. Selbstverständlich unter Berücksichtigung des Datenschutzes.  Das Sammeln von Daten in verschiedenen Clouds bringt uns aus meiner Sicht dagegen nicht weiter, da wir mit jeder weiteren Cloud Inseln schaffen – und diese Inseln sind nicht durchgängig. Ich kann keinen Dienst heute etablieren, der gleichzeitig auf Daten in verschiedenen Clouds zugreift. Im Vergleich dazu, haben auch nicht die Spediteure die Straßen gebaut, sondern der Staat hat die Infrastruktur zur Verfügung gestellt, so dass jeder noch so kleine Spediteur auf diesen Straßen fahren konnte. Bei den Daten bräuchte man eine Infrastruktur und ein Zuhause – jeder Dienstanbieter weiß dann um die einheitlichen Rahmenbedingungen und kann darauf seine Dienste zur Verfügung stellen.

Interview – Die transparente Fabrik Detmold im Kontext von Industrie 4.0

Interview mit Torsten Hocke, Business Development Manager der Weidmüller Interface GmbH & Co. KG

Torsten_HockeTorsten Hocke studierte Umwelt- und Maschinenbauingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Energieeffizienz in der Industrie an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe und an der Uni Kassel. Er erwarb mehrere Zusatzqualifikationen und gewann u.a. im Jahr 2014 den Maschinenbaupreis der Uni Kassel und den Innovationspreis der EnBW. Herr Hocke arbeitet seit 2013 bei der Weidmüller Interface GmbH & Co. KG und ist dort seit Frühjahr 2015 als Business Development Manager Energiemanagement tätig.
Der Anspruch der Weidmüller Gruppe ist ein komplementäres Lösungsangebot inklusive Umsetzung und Beratung im Bereich der Automatisierungstechnik. Weidmüller versteht sich als Lösungsanbieter für die Produktionsinfrastruktur über die komplette Automatisierungspyramide hinweg – und mit Analytics nun auch darüber hinaus.

Connected Industry: Was verstehen Sie von Weidmüller unter dem Begriff Industrie 4.0? Und welche Technologien zählen dazu?

Wir betrachten Industrie 4.0 in Stufen. Zu den übergreifenden Schlüsseltechnologien zählen wir die Elektronik sowie die darauf aufbauenden Kommunikationstechnologien. Diese Technologien stellen die Grundlagen für unser Verständnis von Industrial Connectivity dar. Die nachfolgenden Schritte bauen darauf auf und bewirken die angestrebte Intelligenz der Systeme.

Um das zu erreichen, wird darauf aufbauend die richtige Software notwendig. Die in der Produktion generierten Daten können durchaus als „Big Data“ betrachtet werden und diese Menge und Vielfalt an Daten ist nicht mehr manuell oder durch einzelne Programme händelbar, daher muss die Software immer besser werden. Aber auch die Software nützt wenig, gäbe es nicht in letzter Instanz den Menschen, der zumindest die strategischen Entscheidungen trifft.

Die Mensch-Maschine-Schnittstelle ist ein wichtiger Aspekt der Industrie 4.0, denn der Mensch muss mit den ausgewerteten Daten arbeiten bzw. Analyse-Ergebnisse auch verstehen können.

Connected Industry: Welche Anwendungsgebiete der Industrie 4.0 stehen für Weidmüller im Vordergrund?

Das ist für uns vor allem ein Anwendungsbereiche. Das Energiemanagement, das vor allem den Anlagenbetreiber betrifft.

Zum Energiemanagement gehört vor allem Energy Analytics. Das ist aus unserer Sicht der richtige Schritt hin zu flexiblen und intelligenten Fertigungsprozesse. Da die Vernetzung der Maschinen hochgradig erfolgt, müssen die Schnittstellen – unter dem Leitziel von Plug & Produce – immer besser werden.

Damit wir unser Leitbild der Smart Factory erreichen, gerät der Fokus immer mehr auf die clevere Nutzung der anfallenden Daten.

Connected Industry: Wer treibt diese Veränderungsprozesse bei Weidmüller an, der Vorstand oder individuelle Denker aus den Fachabteilungen?

Unsere Bemühungen zur Smart Factory leiten wir aus der langfristigen Unternehmensstrategie ab, beginnen also auf Geschäftsleitungsebene.
In den Fachabteilungen greifen wir diese Strategien produkt- und anwendungsorientiert auf und „übersetzen“ sie nach technischen Gesichtspunkten in den jeweiligen Fachabteilungen als umsetzbare Konzepte. Die Details bestimmen die Fachabteilungen und hier kommen unsere individuellen Denker ins Spiel, denn selbst die beste Strategie entfaltet ihre Wirkung nur dann, wenn die Umsetzung entsprechend gut ist.

Connected Industry: Welche Voraussetzungen sind zu erfüllen, um die Fabrikprozesse transparent machen zu können?

Wir brauchen in der Fabrik erstmal eine Datenaufnahme, also die Generierung und Erfassung der Daten. Als zweiter Schritt müssen die Daten in einer geeigneten Datenbank archiviert und zur Verfügung gestellt werden. Nur die Daten, die in der Fabrik erfasst werden, nach sinnvoller Auswahl visualisiert und ausgewertet werden, haben einen Effekt auf die Transparenz.

Connected Industry: Das klingt nach viel Arbeit für Datenwissenschaftler? Wo erfolgt die Auswertung der Daten?

Ja, wir arbeiten auch mit sogenannten Data Scientists zusammen, um die vielen Datenströme unserer Anlagen zu analysieren. Data Scientists helfen uns dabei, die gesuchten Mehrwerte aus den Daten zu extrahieren. Wir arbeiten mit Partnern zusammen, die ein spezielles Know-How in diesem Bereich haben. Die Datenerfassung, Verifizierung und Erkennung von Potenzialen in Daten erfolgt in einer technischen Analyse-Umgebung.

Connected Industry: Wir betreiben Sie die Entwicklung Ihrer Produkte und Dienste? Über Pilotprojekte?

Da wir selbst Produzent sind, also Fertigung und Montage betreiben, sind wir in erster Linie unser eigenes Versuchskaninchen. Dieser Vorteil wird von unseren Kunden sehr geschätzt, da wir in den meisten Fällen erprobte Produkte anbieten können.
Es gibt aber auch Pilotkunden, die ganz andere Anforderungen und Prozesse als wir haben. Diese unterstützen uns bei der Erprobung durch gezielte Pilotprojekte.

Connected Industry: Welchen Mehrwert konnten durch diese Bemühungen bereits erreicht werden und welche sind in Griffweite voraus?

Der im Vordergrund stehende Mehrwert ist der Kundennutzen der ganz von der jeweiligen Applikation abhängig ist. Im Energiemanagement können wir beispielsweise frühzeitig Lastenspitzen zuverlässig abfangen und dadurch Energiekosten einsparen.

Connected Industry: Das Thema Cloud Computing gilt unter vielen Unternehmern als heikel. Ist eine Cloud Ihrer Ansicht nach eine Notwendigkeit für Industrie 4.0?

Wir setzen noch keine externen Cloud Technologien für unsere Produkte ein, können uns dies für die Zukunft jedoch vorstellen. Technologisch werden sich Cloud-Lösungen sicherlich weiter durchsetzen.

Interview – Industrie 4.0 am Beispiel der Maschinenfabrik Reinhausen

Interview mit Industrie 4.0 Experte Johann Hofmann von der Maschinenfabrik Reinhausen

Johann Hofmann ist Leiter für den Bereich ValueFacturing® der Maschinenfabrik Reinhausen in Regensburg, dem Weltmarktführer für Laststufenschaltern für Leistungstransformatoren der Hochspjohann-hofmann-industrie4-experteannungstechnik. Herr Hofmann ist ein Entwickler von Datenmanagement in der Fertigung und gilt als einer der begehrtesten Experten für Industrie 4.0 in Deutschland.

Johann Hofmann ist studierter Maschinenbau-Ingenieur und beschäftigt sich seit 1989 mit der Digitalisierung der Fertigung und seit 2011, also dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftauchens dieses Trendbegriffs, mit Industrie 4.0. Im Jahr 2013 gewann er mit der Maschinenfabrik Reinhausen gleich zwei Preise, den Industrie 4.0 Award und den Finalistenpreis beim Innovationspreis der deutschen Wirtschaft. 2016 ist er mit ValueFacturing® ein zweites Mal Finalist beim Innovationspreis der deutschen Wirtschaft in der Kategorie Industrie 4.0.

Connected Industry: Herr Hofmann, Industrie 4.0 gilt derzeit als der größte Technologie-Trends der internationalen Industrie, dabei scheint jede Branche diesen Begriff für sich selbst zu interpretieren. Was bedeutet Industrie 4.0 denn nun wirklich?

Eine Wette auf unsere Wettbewerbsfähigkeit und für die Zukunft Deutschlands, wobei ich keinerlei Zweifel daran habe, dass wir diese Wette gewinnen können, jedoch nicht ohne unser aktives Erfinden, Handeln und Umsetzen. Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen.
Von ganz großer Flughöhe aus betrachtet unterscheide ich drei Perspektiven: Die Industrie 4.0 erstens für Produkte, zweitens für Prozesse und drittens für Geschäftsmodelle. Ich persönlich befasse mich mit den Themen der Industrie 4.0 für Prozesse. Konkret geht es darum, kleinste Losgrößen wirtschaftlich herstellen zu können, dabei flexible Produktionssysteme zu schaffen, die kundenindividuelle Produktionsvorgänge ermöglichen und darüber hinaus die Verkürzung von Durchlaufzeiten. Was früher undenkbar war, macht die digitale Welt schon heute möglich, auch wenn wir gesamtheitlich betrachtet noch am Anfang stehen.

Connected Industry: Ist der Begriff „Industrie 4.0“ wirklich treffend und zukunftsfähig?

Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder. Für manche ist der Begriff bereits zum Schimpfwort geworden. Der Trendbegriff „Industrie 4.0“ ist für die Industrie entstanden, da diese in ihrer Tradition festsitzt, beim digitalen Wandel jedoch hinterherhinkt. Mittlerweile ist die gesamte Gesellschaft von dem Wandel betroffen, beispielsweise mit Smart Farming, digitale Bezahlprozesse oder vernetzte Autos. Es betrifft heute jeden, daher kann ich mir schon vorstellen, dass der Begriff „Industrie 4.0“ zu eng gefasst und vielleicht schon bald durch eine neue Wortschöpfung ersetzt wird.
Connected Industry: Gibt es einen Unterschied zwischen der Digitalisierung und der digitalen Transformation?

Genau genommen ist die Digitalisierung mit Industrie 3.0 losgegangen. Die darauf folgende digitale Transformation ist der Startpunkt und damit die Basis von Industrie 4.0.

Beide Begriffe unterscheide ich wie folgt: Die Digitalisierung bedeutet, dass ein vorhandener bzw. etablierter Prozess papierlos gemacht wird, ohne dabei große Änderungen am Prozess selbst zu vollziehen. Ein alltägliches Beispiel dafür ist das Flugticket, dass man für den Einstieg ins Flugzeug benötigt. Früher, und übergangsweise auch noch heute, musste man erst zum Schalter der Airline im Flughafen und dort das Ticket ausdrucken lassen, dieses dann die ganze Zeit bei sich behalten und dann zum Einstieg ins Flugzeug erneut vorzeigen. Heute funktioniert das mit einem digitalen Abbild des ursprünglichen Papiertickets, dass man dann z. B. in der Cloud speichern und vom Smartphone aus abrufen und verwenden kann, das dann auch noch nach Jahren wiederfinden kann.
Die Digitale Transformation geht einen Schritt weiter, denn mit ihr ändert sich ein Prozess grundlegend und neue Geschäftsmodelle verdrängen ältere. Erst wird der Prozess papierlos (Digitalisierung), dann ändert sich der Prozess, weil nun Dinge möglich werden, die vorher nicht funktionierten.
Beispielsweise wird das Lesen von Büchern zunehmend papierlos und im zweiten Schritt ändert sich das Kauf- und Nutzungsverhalten von Büchern. Auch Branchen wie die Automobilindustrie sind gerade in der Digitalen Transformation angekommen.

Connected Industry: Welchen Stand haben wir in Deutschland mit der Industrie 4.0 heute schon erreicht?

Wir erreichen schon heute nachweisbare Effizienzsteigerungen, Flexibilisierung und digital dokumentierte Arbeitsvorgänge. Die positiven Effekte sind wahrnehmbar.
Insgesamt steht die Industrie jedoch noch am Anfang und vieles, was heute vorhergesagt wird, wird sich später sicherlich als falsch herausstellen. Dafür wird aber auch manches funktionieren, was heute noch nicht denkbar ist.

Connected Industry: Die Maschinenfabrik Reinhausen haben Sie maßgeblich mitgestaltet und dafür angesehene Innovationspreise gewonnen. In wie weit sind die Konzepte der Industrie 4.0 in Ihrer Maschinenfabrik Reinhausen tatsächlich umgesetzt?

Wir haben in unserer Fertigung ein digitales Assistenzsystem entwickelt und eingeführt, dass uns auf dem Innovationslevel in der Fertigung sehr weit nach vorne gebracht hat.
Wir arbeiten bereits bald 30 Jahre an dem Ziel der Smart Factory und der damit verbundenen Verschlankung, Flexibilisierung und letztendlich auch an der Digitalisierung der Fertigungsprozesse. Wir haben mit ValueFacturing® unsere gesamte Mannschaft der Produktion dazu befähigt, bessere Entscheidungen zu treffen. Die Entscheidung obliegt immer noch dem Menschen.
Durch die digitale Vernetzung können wir bereits jetzt signifikante Verkürzungen der Lieferzeiten realisieren.

Connected Industry: Wie kann man sich das technisch vorstellen?

Auf oberster Ebene der Automatisierungspyramide steht das ERP-System, so auch bei uns. Darunter kommt gleich unsere Datendrehscheibe, die Daten zwischen den einzelnen Maschinen bidirektional austauscht. Wir haben u.a den Fertigungshilfsmittel – Kreislauf digitalisiert, können somit Arbeitsgänge aus Fertigungsaufträgen papierlos abwickeln und beispielsweise Rüstvorgänge optimieren. Die ValueFacturing® – Datendrehscheibe ist ein Integrationssysteme für die bereits vorhandenen Systeme. Es nutzt zur Datenspeicherung die bereits vorhandenen Datenbanken der Drittsysteme und verteilt und komponiert daraus in Echtzeit alle benötigen Daten. Darüber hinaus ist ValueFacturing® in der Lage durch Datenanreicherung fehlende Daten automatisch zu generieren.
Zusätzlich beinhaltet ValueFacturing® auch eine Datenpumpe, die im Sekundentakt Rohdaten aus der Fertigung sammelt in einer Analyse-Datenbank archiviert. Durch Data-Mining veredelt ValueFacturing® diese Rohdaten zu Informationen. Dadurch kommen wir zu neuartigen Erkenntnissen die es ermöglichen steigende Qualitätsanforderungen, kürzere Lieferzeiten, sich verkürzende Produktlebenszyklen und eine wachsende Variantenvielfalt zu beherrschen.

Connected Industry: Das Manfuacturing Execution System (MES) wird von vielen Lösungsanbietern als Schlüssel zur Industrie 4.0 gepriesen, andere wiederum halten es nur für eine Zwischenlösung.

Wir sind mit ValueFacturing® im weitesten Sinne im Dunstkreis eines MES tätig. Unsere Datenpumpe erfüllt nämlich im Bereich der zerspanenden Fertigung MES – Aufgaben. Wobei wir der Überzeugung sind, dass uns als Maschinenfabrik die Auswertung der Rohdaten besser gelingt als Softwarehäusern. Zusätzlich realisiert unsere Datendrehscheibe allerdings Aufgaben die kein MES beherrscht. Dieser Leistungsumfang lässt sich am besten mit dem Wort: ValueFacturing® umschreiben.

Connected Industry: Sie entwickeln Ihre Software selbst. Warum nutzten Sie nicht Lösungen von etablierten Software-Herstellern?

Es gibt einfach noch keinen Lösungsanbieter, der diese Heterogenität der Maschinenlandschaft entsprechen unseren hohen Anforderung bewältigt. In jeder Fertigungshalle stehen unterschiedlichste Maschinen, Anlagen, Softwaresysteme unterschiedlichster Baujahre und natürlich von diversen Herstellern. Unsere Datendrehscheibe ist deshalb auch als Multidolmetscher im Einsatz, allerdings nicht mit 1:1 Schnittstellen, sondern mit intelligenten Konnektoren. ValueFacturing® beinhaltet über 25 Jahre Zerspanungs Knowhow der Maschinenfabrik Reinhausen. Die Bewältigung dieser Heterogenität ist unsere Kernkompetenz.

Connected Industry: Was steht IT-technisch dahinter?

Unsere ITler entwickeln auf aktuellsten Microsoft Technologien. Alle unsere 15 Kunden nutzen den ValueFacturing® Webservice in der privaten Cloud, der auf den kundeninternen Servern liegt, so dass Fragen bzgl. der Datengeheimhaltung gar nicht erst aufkommen.
Basierend auf Microsoft AZURE, einer Cloud Technologie von Microsoft, stellen wir ab April 2016 jedoch auch ein Modell der Public Cloud zur Verfügung, die als Alternative vor allem wirtschaftliche Vorteile bietet.

Connected Industry: Kann Industrie 4.0 als eine Fortführung des Lean Managements unter Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung betrachtet werden oder geht Industrie 4.0 noch weiter?

Lean Management ist für mich eine Grundvoraussetzung für Industrie 4.0. Ohne Lean wird die Digitale Transformation nicht funktionieren. Die Prozesse in der nicht-digitalisierten Fabrik laufen in bisher nur gut, weil die Menschen trainiert sind und vieles auswendig können. Nach der Digitalisierung ändern sich die Gewohnheiten und genau dann sind schlanke sowie stabile Prozesse wichtig.

Connected Industry: Wie stehen Sie zum artverwandten Trendthema „Big Data“?

Unter Big Data verstehe ich erstmal nur ein Sammeln von Rohdaten in großer Menge, hoher Geschwindigkeit oder Komplexität auf Grund der strukturellen Unterschiedlichkeit. Interessant wird die Auswertung von Big Data, also Big Data Analytics, bei der Mustererkennungsmethoden eingesetzt werden, um neue Erkenntnisse aus den Daten zu ziehen.
Big Data Analytics ist somit ein wichtiger Bestandteil der Industrie 4.0.

Connected Industry: Als Datenpumpe bezeichnen Sie die Software-Architektur, die die Maschinendaten archiviert und für Analysen bereitstellt, welche Erkenntnisse wären dadurch denkbar?

Wir haben schon eine ganze Reihe von Erkenntnissen für die Fertigungsstabilität ermitteln können. Mit zielgerichteten Datenanalysen konnten wir schon konkrete Optimierungsvorschläge für den Werkzeugkreislauf, die betriebsinternen Materialflüsse und die Produktqualität machen und umsetzen. Besonders interessant ist die Analyse der Fehlerursachen bzw. Mängel in der Produktqualität im Zusammenhang mit dem NC-Programm und der Maschinenkonfiguration.

Connected Industry: Kann man zusammenfassend sagen, dass Industrie 4.0 bereits heute schon verschiedene Trends zusammenbringt und für Industrieanwendungen bündelt?

Ja, neben der Idee der schlanken Prozesse, der Digitalisierung, der Datenanreicherung und Datenauswertung sind noch weitere Konzepte relevant, insbesondere das Internet der Dinge und Dienste, mobile Anwendungen und die Virtualisierung.

Interview – Bedeutung von Industrie 4.0 für Private Equity

Interview mit Marko Maschek über Industrie 4.0 aus der Investment-Perspektive

Vor Gründung der PINOVA war Marko Maschek zehn Jahre bei 3i in Deutschland und in den USA, zuletzt als Partner im Bostoner Büro, tätig. Er war dort für Small Cap Investments in den marko_maschekBereichen Umwelttechnologie, Halbleiter und neue Materialien verantwortlich. In seiner Zeit bei 3i tätigte Marko Maschek 19 Investments, war in zahlreichen Aufsichtsgremien tätig, verkaufte mehrere Unternehmen erfolgreich an strategische Investoren und führte 4 Beteiligungen an die Börse.
Nach einer Offiziersausbildung arbeitete Marko Maschek lange Jahre in der Industrie, bei Cambridge Consultants und Robert Bosch. Bei Bosch entwickelte er mehrere technische Neuerungen, die später weltweit patentiert wurden. Marko Mascheks Familienhintergrund ist unternehmerischer Natur. Er studierte Elektrotechnik an der TH Karlsruhe (Dipl. Ing.) und Informatik an der INSA Lyon. Darüber hinaus absolvierte er ein MBA-Studium an der Universität von Cambridge.

Connected Industry: Wieso ist I4.0 für Private Equity (PE) interessant?

Industrie 4.0 ist bei Private Equity Firmen auf der Agenda, aber ich stelle noch nicht fest, dass dies jemand in der Tiefe adressiert hat, da es ein neues Thema ist. Industrie 4.0 ist für uns Investoren ein wichtiges Feld, da es ein Werttreiber ist. Wir halten ein Beteiligungsunternehmen im Schnitt 5 Jahre, bevor es weiter verkauft wird. Das ist eine limitierte Zeit, um eine Wertsteigerung zu bewirken.

Das Thema Industrie 4.0 ist ein Differenzierer, wenn man hier als Beteiligungsgesellschaft Expertise aufgebaut hat, um eine Wertsteigerung zu erzielen. Die meisten Beteiligungsgesellschaften setzen Standardprogramme um, beispielsweise eine Optimierung bei den Kosten, im Working Capital, Marketing und auch in der Internationalisierung.

Für die Umsetzung von Industrie 4.0 braucht man in der Private Equity Branche jedoch ganz andere Strukturen und Netzwerke, die aufgebaut werden müssen. Diejenigen PE-Investoren, die heute schon Industrie 4.0 Themen umsetzen können, haben ein Alleinstellungsmerkmal im Markt. Zudem können Beteiligungsmanager in der Portfolio-Company durch diesen Stellhebel eine Wertsteigerung erzielen – dies führt zu einem Rendite-Vorteil.

Als Technologe beschäftige ich mich selbst seit langem intensiv mit diesem Thema. Früher war dieser Bereich rund um Industrie 4.0 unter Computer Integrated Manufacturing (CIM) bekannt. Damals gab es erste Feldbusse, wo man Geräte verknüpfen konnte. Es ging damals ausschließlich um Technologie. Letztlich sind die Projekte gescheitert, weil wir technologisch noch nicht so weit waren.

Beim Thema Industrie 4.0 geht es nicht so sehr um Technologie, das ist ein Teil, sondern um Kundenfokus. Also, wie kann man den Kunden besser mit Produkten bedienen, die man schon hat und Dienstleistungen herum bauen. Im Mittelpunkt steht, die Abhängigkeit des Kunden zu erhöhen und letztlich mehr Umsatz durch „Smart Services“ zu erzielen.

Das Thema hat jedoch eine Kehrseite: So hat beispielsweise jede Werkzeugmaschine ein Interface – hieraus werden Daten generiert, aus denen man ein smartes Geschäftsmodell entwickeln kann – das wird nun auch durch andere Dienstleister möglich. An dieser Stelle kann sich fortan ein Dritter zwischen dem ursprünglichen Lieferanten und dem Endkunden positionieren.

Connected Industry: Glauben Sie an einen aktuellen Hype oder Beginn einer nachhaltigen Entwicklung

Heute ist es im Vergleich zu den Ansätzen aus der Vergangenheit wesentlich einfacher geworden, etwa durch Halbleitertechnologie und Cloud-Computing, in Echtzeit Daten zu erheben und zu analysieren. Das gab es so früher nicht, sicher nicht zu den Kosten. Für mich ist Industrie 4.0 nun ein nachhaltiger Trend, da es jedes Unternehmen in jeder Branche betrifft, unabhängig, wo man auf der Erde sitzt. Industrie 4.0 wird zudem weiter über bestimmte Schnittstellen standardisiert werden – von daher muss hier dabei sein.

Connected Industry: Wieso reagiert der deutsche Mittelstand noch verhalten auf dieses Thema?

Es ist eine Gefahr, wenn der Mittelstand es versäumt hier aktiv zu werden. Das Risiko ist, dass sich jemand zwischen ihn und seinen Kunden setzt. Dadurch wird er „commodity“ und ist beliebig austauschbar. Hier ist es unausweichlich, dass man neue Lösungen zur Vertiefung der Kundenbindung entwickelt.

Connected Industry: Welche Geschäftsmodelle im Kontext von I4.0 sind gefragt und wieso tun wir uns dabei schwer?

Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, bei denen man versteht, was der Kunde eigentlich benötigt, um sein Unternehmen voranzubringen. Durch diese Technologien im Bereich Industrie 4.0 wird das manifest, was in Produktionsprozessen eigentlich abläuft. Dadurch können wir Smart Services überhaupt erst anbieten.

Wieso ist das für uns schwer? In Deutschland herrschen Detailbetrachtung, minutiöse Planung und Overengineering vor – da sind wir Weltklasse. Das funktioniert gut für bestimmte Produkte, bspw. Automobile, nicht aber für Software. Aber wenn es darum geht, neue datenbasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln, erfordert das eine Dienstleistungsmentalität, die in anderen Ländern stärker ausgeprägt ist als bei uns.

Die Chance mit Industrie 4.0 Geld zu verdienen müssen wir jetzt ergreifen. Wir verfügen über die installierte Maschinenbasis und sind heute noch am nächsten am Kunden dran. Aber wenn wir die Themen rund um Industrie 4.0 nicht umsetzen, machen es andere für uns. Die Ausgangssituation im Mittelstand ist mit seiner Flexibilität und kurzen Entscheidungswegen jedoch als sehr gut anzusehen, das Erfolgsmodell auch in der nächsten Dekade weiter auszubauen.

Interview mit Olaf Graeser von Phoenix Manufacturing Solutions

Technologienetzwerk “Smart Engineering and Production 4.0” realisiert die komplette vertikale Integration von Daten

Olaf GraeserInterview mit Olaf Graeser, Phoenix Contact GmbH & Co. KG über durchgängig virtuelles Engineering als Basis für Industrie 4.0: Phoenix Contact,  Eplan und Rittal haben gemeinsam die komplette vertikale Integration von Daten im Engineering- und Produktionsprozess realisiert, die Fertigungspläne überflüssig macht.

Olaf Graeser ist Mitarbeiter im Technology Development Industrial Automation des Geschäftsbereichs Manufacturing Solutions bei der Phoenix Contact GmbH & Co. KG in Blomberg. Dort beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen durchgängiges Engineering und intelligente Fertigung.

Connected Industry: Was war die Motivation für dieses Projekt?

Die Motivation war zunächst, ein durchgängiges Engineering unserer eigenen Artikel bis zum Schaltschrank zu schaffen. Bei der Entwicklung entstehen vielfältige Daten, die das Produkt beschreiben. Das eigentliche Engineering startet jedoch erst dann, sobald die Produkte in einem anderen Tool weiterverwendet werden sollen. Der Schaltschrankbauer, der unsere Produkte nutzt, kann nun einen digitalisierten Artikel erhalten, quasi den digitalen Zwilling. Diesen kann man dann in gängige Software-Tools, bspw. Eplan, integrieren. Am Ende entsteht der Schaltschrank als digitaler Prototyp, der bis in die Fertigung weitergereicht werden kann – das ist das Kernstück des Projekts.
Zunächst können wir damit bei der Industrie 3.0 Fertigung anknüpfen: Mit dieser digitalen Produktbeschreibung, die in einer Kombination der Datenformate AutomationML und eCl@ss vorliegt, lassen sich auch Bestandsanlagen betreiben. Noch viel besser eignet sich die digitale Produktbeschreibung jedoch für Industrie 4.0 Anlagen: Hier haben wir mit einem intelligenten Fertigungsleitsystem gearbeitet. Das Fertigungsleitsystem bezieht auf Basis der digitalen Produktbeschreibung die relevanten Fertigungszellen für den einzelnen Artikel mit den jeweiligen Verwaltungsschalen ein. Zunächst startet das Leitsystem damit, die Produktbeschreibung einzulesen und zu analysieren. Aus dieser hierarchischen Beschreibung werden dann die Fertigungsschritte abgeleitet. Das Werkstück wird durch einen RFID-Tag erkannt und die Fertigungsschritte parametriert. Die Fertigungszelle bekommt dann über das ERP-System einen Fertigungsauftrag in Losgröße 1 anhand der digitalen Produktbeschreibung, die sämtliche Informationen für die Fertigungsprozesse enthält. Die Vollständigkeit der Daten führt dabei zu einer reibungslosen Umsetzung aller Bearbeitungsinformationen. Die Besonderheit ist, dass man hier keinen Fertigungsplan und keine feste Produktionsreihenfolge mehr braucht. Die digitale Produktbeschreibung kann zudem bis in die Anlagenwartung entlang des gesamten Produktlebenszyklus weiter genutzt werden. Ferner sind zusätzliche automatisierte Prozesse in der Schaltschrankfertigung möglich. So ist bspw. die Visualisierung für eine manuelle Bestückung und Verdrahtung ein relevanter Entwicklungstrend.

Connected Industry: Wie entstand die Idee für dieses Projekt und wie lange hat es bis zur Umsetzung gedauert?

Rund ein Jahr. Die Idee entstand auf der Hannover Messe 2014, die Demonstration erfolgte bereits im Folgejahr auf der Hannover Messe, wobei die Partner schon umfangreiche Vorarbeiten eingebracht haben.

Connected Industry: Welche Aufgabenbereiche hatten die Projektpartner?

Die digitale Beschreibung von Komponenten sowie die Fertigung haben wir gemeinsam mit Rittal übernommen. Eplan war schwerpunktmäßig für das Engineering zuständig.

Connected Industry: Wo liegt für Sie der größte Mehrwert in der Umsetzung?

Primär, um Produkte in Losgröße 1 wirtschaftlich fertigen zu können. Die heutige Produktion ist Massenherstellung mit klassischen Fertigungsverfahren. Erforderlich ist jedoch immer mehr Customizing, z. B. für die spezifische Bedruckung oder spezielle Farbe. Das ist mit der heutigen Fertigungstechnik nur schwierig abbildbar. Mit dem Projekt haben wir die optimalen Voraussetzungen für das Customizing geschaffen, was insbesondere bei kundenspezifischen Konfigurationen im Webshop wichtig ist.

Connected Industry: In welche Richtungen möchten Sie das Projekt weiterentwickeln?

Die Frage ist hier generell, was auf Basis digitaler Modelle realisiert werden kann? Möglich ist eine Verwendung digitaler Modelle im Bereich Simulationen, Fertigungsplanung über verschiedene Werke hinweg bis hin zur Angebotserstellung.