Interview – Die Rolle der IT-Governance im digitalen Wandel
Interview mit Herrn Dr. Patrick Stoll von der TRUMPF GmbH + Co. KG
Dr. Patrick Stoll ist mitverantwortlich für Projektportfolioplanung und IT-Governance im Bereich Business Information Services bei der TRUMPF GmbH + Co. KG. Er ist Buchautor im Themengebiet E-Procurement und darüber hinaus Gastdozent für den Studiengang ERP-Systeme & Geschäftsprozessmanagement an der FH Kufstein Tirol.
Connected Industry: Herr Dr. Stoll, welcher Weg hat Sie zur IT-Governance bei TRUMPF geführt? Womit befasst sich die IT-Governance und welche Kenntnisse sind dafür nötig?
Ich bin bei TRUMPF als Projektportfolio-Manager eingestiegen und habe dann meinen Aufgabenbereich Stück für Stück auf die übrigen Themen im Bereich IT-Governance ausgedehnt. Ich war selbst überrascht, wie viele Themen aus meinem bisherigen Werdegang mit IT-Governance Berührung haben. Beispielsweise ist in der IT-Governance Einkaufswissen sehr wichtig, denn ein wesentlicher Teil der IT-Governance besteht aus der Steuerung der Beschaffung von externen IT-Leistungen. Ein Händchen für Controlling ist förderlich, denn ohne Zahlen und Fakten kommt man in der IT-Governance nicht weit. Weiterhin sollte man selbst etwas von IT-Architektur verstehen. Wenn man im operativen Geschäft der IT nicht mitreden kann, ist das ein erheblicher Nachteil. Neben den greifbaren IT-Kenntnissen bedarf es aber auch Soft Skills. In der IT-Governance arbeitet man mehr mit Menschen als mit IT, daher muss man Spaß haben, mit Menschen zu arbeiten. Grundsätzlich ist IT-Governance eher ein Thema für Generalisten als für Spezialisten.
Connected Industry: Die aufgezeigten Visionen rund um die Themen Big Data und Industrie 4.0 überschlagen sich zurzeit nur so, welche Rolle spielt die IT-Governance dabei? Droht diese im Eifer des Gefechts außer Acht gelassen zu werden?
Das kommt ganz massiv darauf an, was Sie der IT-Governance zurechnen. Sobald Sie das Thema IT-Sicherheit der IT-Governance zuschlagen, spielt die IT-Governance eine entscheidende Rolle bei diesen Trendthemen. Weiterhin sind bei diesen Themen in der Regel externe Systemlieferanten und Dienstleister involviert. Deren Auswahl und Steuerung betrifft ebenfalls die IT-Governance.
Generell kann man sagen, dass sowohl Big Data als auch Industrie 4.0 für die allermeisten Unternehmen strategische Themen sind. Die IT kann und soll die Unternehmensstrategie als Enabler unterstützen. Die Aufgabe der IT-Governance ist es, im ersten Schritt den Fit zwischen Unternehmensstrategie und IT-Strategie sicherzustellen und im zweiten Schritt die IT-Strategie über entsprechende Prozesse in Handlungsanweisungen für das IT-Tagesgeschäft zu übersetzen. Dafür zu sorgen, dass im Tagesgeschäft Einzelentscheidungen im Sinne der IT-Strategie getroffen werden, das ist die hohe Kunst.
Connected Industry: Ist IT-Governance gleich IT-Compliance?
Es gibt eine Schnittmenge zwischen der Compliance und der IT-Governance. Natürlich gibt es die Möglichkeit, in der IT-Governance mit der Compliance als Werkzeug zu arbeiten, dies alleine deckt die vielen Facetten der IT-Governance jedoch nicht ab.
Connected Industry: Womit befassen Sie sich in der IT-Governance genau?
Unser Hauptthema ist das Multi-Projekt- und Portfolio-Management. Enterprise Architecture Management sowie das IT-Sourcing, also die Beschaffung von IT-Systemen, sind weitere Handlungsfelder. Bei uns aktuell nicht im Fokus, aber auf der Roadmap, ist das IT-Prozessmanagement, dass die Fragen beantwortet, wie Prozesse in der IT gesteuert, überwacht und verbessert werden können, sowie die Steuerung der IT-Sicherheit. Insgesamt ist das IT-Governance ein strategisches Sach- und Arbeitsgebiet, d.h. die IT-Governance hat selbst keine operativen Aufgaben, sondern stellt den Rahmen für das operative IT-Geschäft.
Connected Industry: Welche Herausforderungen stellt der digitale Wandel für die IT-Governance?
Die digitale Transformation führt dazu, dass bei Unternehmen der Bedarf an IT deutlich ansteigt – viel stärker als jemals zuvor. Es stehen im Verhältnis immer knappere Mittel zur Verfügung, die immer mehr IT-Herausforderungen bewältigen müssen. Das bringt die IT-Governance enorm unter Druck, weil sich der Zielkonflikt zwischen strategischen Projekten und Erhaltungsmaßnahmen verschlimmert. Ein Beispiel für Erhaltungsmaßnahmen war die SEPA-Einführung: Sie war kein Element einer Strategie der Unternehmen, aber wenn sie nicht umgesetzt worden wäre, hätten Unternehmen von einem Tag auf den anderen keine Überweisungen mehr tätigen können. Ein weiteres Beispiel ist die Umstellung auf neuere Betriebssysteme, wenn der Hersteller keinen Support mehr leistet. Durch solche Maßnahmen entsteht eine Grundlast an Projekten, die vor strategischen Projekten bedient werden müssen.
Connected Industry: Das alles klingt fast schon nach Innovationsbremsmanöver. Nimmt die IT-Governance die Rolle des Spaßverderbers ein?
IT-Governance ist in der Tat ein Stück weit Selbstverwaltung. Man muss es sich aber einmal über die handelnden Personen vorstellen: Wenn ein Unternehmen vielleicht 25 IT-Mitarbeiter hat, kann der CIO noch recht einfach in Erfahrung bringen, was in der IT passiert, welche IT-Systeme im Einsatz sind und wie sie genutzt werden. Für deutlich größere Unternehmen, spätestens aber ab dem gehobenen Mittelstand mit einer IT größer als 150 Mitarbeiter, werden zehn Mitarbeiter benötigt, die die IT-Governance verantworten und umsetzen, und damit erreichen, dass in der IT auch wirklich das gemacht wird, was dem Unternehmen nutzt, und dass bei Problemen gegengesteuert werden kann. Die IT-Governance dient dem Unternehmen also nicht dazu, Innovation durch IT zu verhindern, sondern eben erst zu ermöglichen, weil die PS der IT sonst nie auf die Straße des Unternehmens kommen.